4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 24.04.2024, Seite 4 / Inland
Palästina-Solidarität

Zwei auf einen Schlag

Repression gegen Sozialarbeit: Berliner Bezirksstadtrat lässt Jugendzentren schließen. Beschäftigte privat palästinasolidarisch aktiv
Von Annuschka Eckhardt
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Kein Platz mehr für Mädchen: Jugendzentrum »Phantalisa« in Berlin-Friedrichshain

Auf der Instagram-Seite des Jugendzentrums »Phantalisa – Raum für Mädchen* und junge Frauen*« ist der Wochenplan der Einrichtung beschrieben. Neben Nachhilfe wird auch kreatives Schreiben, ein Radioprogramm, ein Selbstverteidigungskurs und Schmuckbasteln angeboten. Auf einem Video sieht man, wie Kinderhände ein Transparent basteln: »Gemeinsam sind wir stark« ist darauf zu lesen. Der Träger des queerfeministischen Jugendtreffs ist der Verein FRIEDA-Frauen*zentrum e. V. Auch in Berlin-Kreuzberg gab es ein queerfeministisches Jugendzentrum, es hießt »Alia – Zentrum für Mädchen* und junge Frauen*«. Dort konnten Kinder und Jugendliche jeden Donnerstag gemeinsam ihre Fahrräder reparieren – bis vergangenen Freitag. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hatte in seiner Pressemitteilung Nr. 87 die Schließung der beiden Jugendzentren bekanntgegeben. Ohne vorherige Ankündigung oder Anhörung.

»Hiermit beendigen wir den zwischen Frieda e. V. und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin – Jugendamt – bestehenden Leistungsvertrag aufgrund des nachfolgend beschriebenen Sachverhaltes mit sofortiger Wirkung«, heißt es in dem Brief, der junge Welt vorliegt. Der Träger habe sich verpflichtet, folgende Zielsetzung zu erfüllen: »Kinder- und Jugendarbeit dient insbesondere der Demokratiebildung sowie dem Abbau menschenverachtender Einstellungen junger Menschen.« Aufgrund nachfolgender Feststellungen sei das Amt nicht überzeugt, dass die Ziele in der Zusammenarbeit umgesetzt werden könnten.

Darauf folgt eine Liste an vermeintlichen Vergehen: Anwesenheit bei Kundgebungen und Demonstrationen, an denen Mitarbeitende des Vereins in ihrer Freizeit teilgenommen haben sollen, sowie auch das »Liken« von palästinasolidarischen Posts mit privaten Social-Media-Profilen. Der Projektkoordinatorin des Vereins, Shokoofeh Montazeri, wird zudem vorgeworfen, dass sie als Rednerin beim Palästina-Kongress hatte sprechen wollen – selbstverständlich nicht im Rahmen ihrer Beschäftigung beim Verein. »Wenn staatliche Überwachungsmaßnahmen die Arbeit der Sozialarbeiterinnen einschränken und Repression auf individueller Ebene erfahren wird, wird die Soziale Arbeit insgesamt beeinträchtigt«, teilte der Verein am Sonntag mit.

Unterschrieben ist das Kündigungsschreiben von Max Kindler (CDU), dem Bezirksstadtrat für Jugend, Familie und Gesundheit, der vor seinem Amtsantritt bei der Berliner Polizei beschäftigt war. »Gemäß Paragraph 3 BAMG (Bezirksamtsmitgliedergesetz, jW) wurde ich mit meiner Benennung in das Bezirksamt aus meinem Dienstverhältnis bei der Polizei Berlin entlassen. Somit stellt sich die Frage des Interessenkonflikts nicht«, teilte er am Dienstag auf jW-Anfrage mit. Mit dem Bürgermeister abgesprochen war die Schließung nicht, denn »als zuständiger Jugendstadtrat kann ich nach Paragraph 38 Bezirksverwaltungsgesetz solche Vorgänge eigenständig entscheiden«, sagte Kindler.

»Die vom Bezirksstadtrat Max Kindler vorgenommene Beendigung der Zusammenarbeit ohne vorherige Anhörung oder Abmahnung und ausschließlich auf vom Hörensagen stammenden Behauptungen genügt nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen«, ließ Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen), direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost, am Dienstag in einer Mitteilung verlauten. Sie fordere Kindler auf, die Kündigung zurückzunehmen, da nicht nachvollziehbar sei, auf welcher Rechtsgrundlage die im Kündigungsschreiben aufgestellten Behauptungen ermittelt wurden.

»Wir sind Träger von verschiedenen Projekten. Zwei davon sind queerfeministischer genderspezifische Kinder- und Jugendarbeit, und solche Angebote gibt es nicht oft«, sagte Projektkoordinatorin Montazeri am Dienstag gegenüber jW. »Besonders in dieser politischen Lage momentan in Berlin, wo vielen verschiedenen sozialen Projekten die Finanzierung gestrichen wird, waren wir Sozialarbeiterinnen die ganze letzte Zeit mit den Kürzungen beschäftigt.« Jetzt vermische sich damit auch noch eine »staatliche Repression gegen unsere Arbeit«, die keinen nachvollziehbaren Argumenten folge. Der Unterschied zwischen offener Sozialarbeit und staatlicher Gewalt »muss in jedem Fall gewahrt werden«, forderte Montazeri.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Hartberg (23. April 2024 um 21:33 Uhr)
    Steuert Deutschland erneut in einen braunen, autoritären Sumpf? Mischt man die Parteifarben der Koalitionspartner, kommt tatsächlich eine braune Farbe hervor. Es ist erschreckend, wie in Deutschland dieser Wahn und die politische Verfolgung sich ausdehnt, ohne dass es dagegen größere Proteste gibt. Eine der Zielsetzung für das Jugendzentrum ist: »Kinder- und Jugendarbeit dient insbesondere der Demokratiebildung sowie dem Abbau menschenverachtender Einstellungen junger Menschen.« Bitte, sind die israelischen Kriegsverbrechen gegen Palästina nicht menschenverachtend? Selbst wenn eine Person sich eine »Straftat« hätte vorwerfen müssen, wäre dies noch lange kein Grund, den Vertrag zu künden. Die bindungslose, blinde Untersetzung des zionistischen Apartheidregimes durch die deutsche Regierung ist das eigentliche Verbrechen und nicht die private Meinung bzw. Teilnahme einer Person am Palästina Kongress.

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