Im Zeichen der Doppelaxt
Von Barbara EderDer 79. Jahrestag der Befreiung des KZ Mauthausen ist mit einem Festakt begangen worden, den die Nachfolgeorganisation der Österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen (ÖLM), das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ), organisierte. Mehr als 9.000 Menschen reihten sich in einen internationalen Gedenkzug ein, Vereinigungen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern waren präsent – vom österreichischen Cartellverband bis hin zu antifaschistischen Delegationen aus nahezu allen italienischen Provinzen. In alphabetischer Reihenfolge gedachten die »Bibelforscher« der Zeugen Jehovas ebenso ihrer Opfer wie die Mitglieder der Kommunistischen Partei (KPÖ). Angeführt wurde der Gedenkzug von Vertretern der österreichischen Bundesregierung.
Das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen befindet sich am Nordufer der Donau, westlich der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz. Mit rund 150.000 Quadratmetern ist das Areal unübersehbar, es liegt auf einer Anhöhe der Marktgemeinde Perg. Von der industriellen Massenvernichtung von rund 200.000 aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgten Personen, die vor Ort 1938 begann, wollte man während der Terrorherrschaft der Nazis nichts gewusst haben. Am 5. Mai 1945 befreiten US-amerikanische Truppen das größte Vernichtungslager auf österreichischem Boden, wenige Tage später folgten die Außenlager Ebensee, Gusen, Vöcklabruck und Linz.
Am offiziellen Gedenken teilgenommen hat auch eine Gruppe autonomer Frauen und Lesben aus Österreich und Deutschland. Der staatlichen Erinnerungspolitik stehen die Aktivistinnen kritisch gegenüber. Eines ihrer Transparente zeigte einen schwarzen Winkel vor violettem Hintergrund, in seiner Mitte eine weiße Doppelaxt. Die Silhouette des von der Zweiten Frauenbewegung angeeigneten Kampfsymbols verweist auf eine bedeutsame Leerstelle innerhalb der Gedenkhistorie – jene der Verfolgung widerständiger Frauen als »Asoziale«. Anders als homosexuelle Männer mussten viele lesbisch attribuierte Frauen das schwarze Dreieck auf ihrer Häftlingskleidung tragen, als sichtbar-unsichtbares Sujet ist die Doppelaxt diesem nunmehr immanent. Mit ihrer Verkehrung wurde die dazugehörige Geschichte vom Kopf auf die Füße gestellt.
Erst das Erinnern führt zum Heute – so eine der zentralen Botschaften der feministischen Gedenkveranstaltung. Sie begann vor dem ehemaligen KZ-Häftlingsbordell in Baracke I. 1942 wurde dieses als »Sonderbau« auf Befehl Heinrich Himmlers errichtet. Frauen wurden dort unter Todesdrohung zur Prostitution gezwungen – mit dem Ziel der Vernichtung durch Sexarbeit. Männliche Häftlinge durften das Lagerbordell bis zu 13mal im Monat besuchen, beaufsichtigt wurden sie dabei durch die Spaliere an den Zimmertüren.
Akte sexueller Zwangsarbeit waren nur unter Einhaltung strenger Vorgaben auszuführen, sie durften nicht länger als eine Viertelstunde dauern. Das Lagerbordell fungierte zudem als Institution zur Einübung und Aufrechterhaltung von Heterosexualität, vor Ort war diese keinesfalls die Norm. Aus Berichten von Betroffenen geht hervor, dass in Mauthausen auch männliche Jugendliche höherrangigen Funktionshäftlingen sexuell zu Diensten zu stehen hatten, zwei davon wurden »Linda« und »Georgia« gerufen.
Seit 2022 erinnert ein Gedenksymbol in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück an die zur Sexarbeit gezwungenen Frauen. Jenes vor dem ehemaligen Lagerbordell in Mauthausen provisorisch aufgestellte ist eine kleinere Version davon. Die Glasskulptur von Roswitha Baumeister und Karin Kröll symbolisiert einen Eisblock, der langsam zu schmelzen beginnt. Er steht für das allzu lange Schweigen über die an den inhaftierten Frauen, Lesben und Mädchen verübten Gewalttaten. Maria Newald, Vorstandsmitglied der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen (ÖLGR/F), ist eine der Aktivistinnen, der die vorerst nur provisorisch angebrachte Gedenktafel an der Wand des Lagerbordells von Mauthausen ein großes Anliegen ist. Die Inschrift hebt hervor, dass den Sexzwangsarbeiterinnen selbst dann, wenn sie den Mut zum Sprechen fanden, der offizielle NS-Opferstatus meist verwehrt geblieben ist.
Der von Lisa Grösel am Akkordeon gespielte »Saint Louis Blues« war allen vor Ort verfolgten und gedemütigten Frauen gewidmet – daruter Sintizze und Romnja. So etwa der Künstlerin Ceija Stojka, ebenso wie vielen noch unbekannten Schlurfinnen aus Wien. Als Angehörige einer proletarischen Jugendsubkultur tanzten sie mit offenen Haaren und kurzen Röcken den von den Nazis verbotenen Swing und weigerten sich, zum Bund Deutscher Mädchen (BDM) zu gehen.
Nach der Rede von einer Wiener Vertreterin der jüdisch-arabischen Friedensinitiative »Standing Together« schlug Lisa Steiniger erneut die Brücke in die Gegenwart. Nach einer Schweigeminute für alle vergewaltigten Frauen verurteilte sie die phallokratische Ordnung am Grund aller Kriege – sexualisierte Gewalt zählt ebenso dazu wie der ostentativ zur Schau gestellte Maskulinismus in Militär und Armee.
2 Wochen kostenlos testen
Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!
Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.
Ähnliche:
- 29.02.2024
Lügnerische Träume
- 26.01.2024
Generische Ungereimtheiten
- 19.01.2024
»Birth Strike« als Antwort
Regio:
Mehr aus: Antifaschismus
-
Aufgaben neu verteilt
vom 15.05.2024