27.04.2024 / Geschichte / Seite 15

Die Zweite Revolution

Vor 175 Jahren kam es in Dresden zum Maiaufstand

Daniel Bratanovic

Der Aufstand hatte seine Protagonisten und er hatte, was nicht das gleiche bedeutet, seine Prominenten. Als die Insurgenten unter heftigem Beschuss standen, bestieg der Königlich-Sächsische Kapell­meister der Dresdner Hofoper den Turm der Kreuzkirche, um von dort die Revolutionäre mit Signalen zu warnen, gab ein damals schon berühmter Baumeister Anweisungen zum Umbau von Barrikaden, auf dass sie besser verteidigt werden konnten, koordinierte ein russischer Adliger die Ordnung derselben und sorgte für Herstellung wie Heranschaffung von Munition für die Kämpfenden. Bürgerliche Zeitungsschreiberhistoriographie mit erlahmtem Sendungsbewusstsein und gleichzeitig erhöhter Plauderlaune würde vielleicht zuspitzend darauf abheben, was Richard Wagner, Gottfried Semper und Michail Bakunin in den ersten Maitagen des Jahres 1849 in der sächsischen Hauptstadt so getrieben haben. Wo die Absicht, Unterhaltung zu liefern, überwiegt, treten Herkunft und Standort, Motive und Ziele der maßgeblichen Akteure der Dresdner Maierhebung von 1849 notwendig in den Hintergrund.

Wie in fast allen Staaten des Deutschen Bundes erhoben sich auch im Königreich Sachsen Anfang März 1848 Volkskundgebungen und Demonstrationen. Die Forderungen lauteten: liberale Ministerien, Amnestie für politische Vergehen, Aufhebung der Feudallasten, Presse-, Versammlungs- und Gewissensfreiheit. Unter dem Druck dieser Bewegung berief König Friedrich August II. am 13. März liberale Minister in die Regierung und hob die Zensur auf. Der vorläufige Sieg schien mühelos errungen, jedenfalls ohne bewaffnete Straßenkämpfe wie in Berlin und Wien. Für die Bourgeoisie waren die Hauptforderungen erfüllt, ihre maßgeblichen Interessen befriedigt. Dabei war die Adelsmacht alles andere als endgültig beseitigt. Von einer umfassenden Bourgeoisieherrschaft konnte keine Rede sein, solange der alte Staatsapparat fortbestand und weiterhin über die Armee gebot. Eine konsequente Fortführung der Revolution lag aber nicht im Interesse der bürgerlichen Liberalen, die auf friedliche Vereinbarungen mit der Krone setzten und die radikalen Aktivitäten der Kleinbürger und Arbeiter fürchteten.

Auftritt der Arbeiter

Im September 1848 geriet das bestenfalls halb revolutionierte, vielmehr bloß dürftig reformierte Königreich Sachsen erneut in die Krise. Enttäuscht von den Resultaten der Märzregierung, löste die Dresdner Generalversammlung der Vaterlandsvereine – in Sachsen waren das die Organisationen der republikanisch oder konstitutionell gesinnten Demokratischen Bewegung innerhalb des Deutschen Bundes – eine Protest- und Kundgebungswelle aus mit dem Ziel, auf außerparlamentarischen Wegen die vormärzliche Ständeversammlung aufzulösen, die liberale Märzregierung zu stürzen und dem Land ein demokratisches Wahlgesetz zu geben. Diese Kampagne erfasste die größeren Städte und griff auch auf viele Kleinstädte über. Dies geschah mehr oder weniger zeitgleich mit Protesten der städtischen Unterschichten. In Chemnitz probten Arbeiter am 12. September den Aufstand und errichteten Barrikaden.

Sachsen war zu jener Zeit kein Agrarland mehr, sondern ein Staat, in dem die Hälfte der Bevölkerung im Zuge der beginnenden kapitalistisch-industriellen Entwicklung von der gewerblichen Wirtschaft lebte. Dieser Umstand bewirkte, dass sich dort weit stärker als in anderen Teilen Deutschlands erste eigenständige Arbeiterorganisationen gebildet hatten, die auf die Haltung der eher kleinbürgerlichen Demokraten einwirkten.

Die Ereignisse vom September sorgten für Verschiebungen in der Verfasstheit der Demokratiebewegung. In der Generalversammlung der Vaterlandsvereine gewannen die Republikaner die Oberhand, die Bewegung spaltete sich, die Moderaten gründeten einen eigenen Landesverband. Zur sozialen Hauptstütze der Demokratiebewegung wurden mehr und mehr Arbeiter und Handwerksgesellen, Kleinmeister der häuslichen Textilindustrie und Teile der Kleinbauern, die von der seitens der Republikaner seit Herbst verstärkt erhobenen Forderung nach unentgeltlicher Aufhebung der Feudallasten angesprochen wurden.

Derweil holte die adlige Konterrevolution in Preußen und Österreich zum Gegenschlag aus. General Friedrich von Wrangel marschierte mit seinen Truppen am 10. November in die Hauptstadt ein, verhängte den Belagerungszustand und ließ fünf Tage später die konstituierende Versammlung auseinanderjagen. Zuvor hatte Österreichs kaiserliche Armee Ende Oktober den Aufstand der Wiener Kleinbürger und Arbeiter niedergeschlagen. Robert Blum, die für die sächsische Demokratiebewegung maßgebliche Figur, ursprünglich vom Frankfurter Paulskirchenparlament als Vermittler im Konflikt zwischen österreichischer Nationalversammlung und Regierung nach Wien entsandt, hatte sich bei Ausbruch des Aufstands auf die Seite der Revolutionäre geschlage. Nach dem Fall des revolutionären Wiens wurde Blum festgenommen, zum Tode verurteilt und am 9. November erschossen.

Triumph der Linksfront

Sein Märtyrertod löste in Sachsen einen Schrei der Empörung aus. In vielen Städten organisierten die Vaterlandsvereine Trauerfeiern, die den Charakter von Protestkundgebungen annahmen. Gefordert wurde der Abbruch der Beziehungen zu Österreich, die Rückberufung aller sächsischen Abgeordneten aus der Frankfurter Paulskirche und die sofortige Volksbewaffnung.

In dieser aufgeheizten Lage wählten die stimmberechtigten Sachsen im Dezember ihren Landtag. Das Ergebnis war ein Triumph der republikanischen Linksfront, die in beiden Kammern die absolute Mehrheit errang. Angesichts des unverkennbaren Rücklaufs der Revolution in ganz Deutschland war dies ein singuläres Ereignis. Für kurze Zeit lebten die Demokraten in der Illusion, sie könnten ihr Ziel, den Umbau des sächsischen Staates – Aufhebung des Adels, Abschaffung aller Standesvorrechte, Beseitigung der Feudallasten, Initiativrecht des Parlaments, Beschränkung der Prärogative des Monarchen auf ein suspensives Veto – schrittweise und gewaltlos vollziehen. Dieser Zustand hielt nicht lange an. Konservative und Liberale forderten einen Staatsstreich und also die Auflösung der als »Unverstandslandtag« diffamierten Kammern. Die immer noch amtierende Märzregierung blockierte das Parlament. Obwohl mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet, blieben die Demokraten machtlos.

Dennoch betrieb die Linke Realpolitik, stellte Anträge und verhandelte. Die äußerste Linke, von den Ideen des Jakobinertums und sozialistischen Auffassungen französischer Prägung beeinflusst, war sich hingegen im klaren darüber, dass nur eine zweite Revolution die Dinge zu ändern vermochte. Dabei ging es nicht nur um eine Umwälzung der Verhältnisse in Sachsen, sondern um eine gesamtdeutsche Erhebung für eine einheitliche Republik.

Wer so rechnet, benötigt bewaffnete Kräfte und muss die Gegenseite schwächen. Das Ziel einer demokratischen Unterwanderung des königstreuen Heeres ging allerdings nicht auf. Der neu berufene Kriegsminister Bernhard Rabenhorst erhöhte den Sold der Unteroffiziere und Soldaten und entsandte die unzuverlässigsten Einheiten nach Schleswig-Holstein in den Krieg gegen Dänemark. Auch der Versuch, aus den Kommunalgarden und Bürgerwehren bewaffnete Abteilungen zu machen, blieb weitgehend ohne Erfolg.

Aufstandspläne für ganz Deutschland bestanden wohl, aber sie waren nicht weit gediehen. Bakunin urteilte später: »Es gab zahlreiche allgemeine Verschwörungen für die bevorstehende Revolution in Deutschland, aber eine gemeinschaftliche Verschwörung, eine gemeinschaftliche Organisation, einen Plan für eine zentrale Aktion und Verwaltung gab es nirgends.« Als der Aufstand in Dresden ausbrach, waren die Revolutionäre nicht vorbereitet.

Zeughaus gestürmt

Ausgelöst wurde der Aufstand, als der König sich weigerte, die am 27. März verabschiedete Reichsverfassung der Paulskirche anzunehmen, beide Kammern des Landtags auflöste und Berlin um militärische Hilfe bat. Am 3. Mai stürmten Massen zum Zeughaus, um sich Waffen zur Verteidigung der Stadt zu beschaffen. Der Artilleriekommandant ließ Kartätschenfeuer auf die Volksmenge eröffnen, 20 Menschen starben. Das war das Signal zur allgemeinen Erhebung. In kürzester Zeit entstanden in Dresdens Altstadt mehr als 100 Barrikaden. Einen Tag später floh der König in Begleitung seiner ihm verbliebenen Minister in die Festung Königstein. Noch am selben Tag handelte eine Deputation aus Mitgliedern des Stadtrats mit dem Militärgouverneur einen Waffenstillstand aus. Die Atempause nutzte nur der konterrevolutionären Seite. Die Disziplin der eigenen Truppen konnte gefestigt, Verstärkung aus anderen Garnisonen herangeführt und das Eintreffen des preußischen Hilfskorps abgewartet werden.

Mit dem Ablauf des Waffenstillstands eröffnete das verstärkte sächsische Militär am Mittag des 5. Mai das Feuer, am Abend traf das erste preußische Bataillon ein, am 7. Mai das zweite. Zusammen betrug die Gefechtsstärke der sächsisch-preußischen Truppen 5.000 Mann. Denen gegenüber dürften bestenfalls 3.000 kaum ausgebildete und miserabel ausgerüstete revolutionäre Kämpfer, unter ihnen viele Arbeiter, gestanden haben. Es war ein ungleicher Kampf, der als erbitterter Häuserkrieg geführt wurde. Der Aufstand endete am 9. Mai, zurück blieben rund 250 tote Aufständische. Steckbrieflich gesucht, konnten Wagner und Semper fliehen, Bakunin wurde aufgegriffen und später zu lebenslanger Haft verurteilt. Dresden war der ungeplante Auftakt der Reichsverfassungskampagne in Deutschland. Sie endete mit einer Niederlage der Revolutionäre in der Schlacht von Rastatt am 23. Juli 1849.

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