09.04.2024 / Inland / Seite 5

Verkehrswende paradox

Netzagentur genehmigt exorbitant höhere Trassenentgelte. Güterbahnverbände fürchten Transportverluste, Ministerium signalisiert Entgegenkommen

Ralf Wurzbacher

Die Bundesregierung will bis 2030 den Anteil der Eisenbahn am innerdeutschen Güterverkehr von heute rund 20 Prozent auf ein Viertel steigern. In puncto Klima- und Mobilitätswende ist das eine gute Idee. Was es dafür bestimmt nicht braucht, sind höhere Preise zur Nutzung der Schiene. Aber genau die hat sich die Deutsche Bahn (DB) gerade durch die Bundesnetzagentur genehmigen lassen. Demnach sollen die Gebühren im kommenden Jahr nicht nur turnusmäßig angepasst werden, sondern in historisch nie dagewesener Dimension steigen. Ausgerechnet für die Warentransportbranche werden exorbitante 16,2 Prozent mehr fällig, getoppt nur noch durch den Personenfernverkehr mit einem geforderten Plus von 17,7 Prozent. Dabei hat die Ampel das Ziel ausgegeben, bis zum Ende der Dekade doppelt so viele Menschen wie heute via Bahn zu befördern.

Aber irrsinniger geht immer. Schließlich ist es die DB selbst, in Gestalt ihrer frisch installierten Netz-AG InfraGO, die besagten Aufschlag bei der Schienenmaut beantragt hat. Den müssen aber nicht nur die privaten und öffentlichen Konkurrenten draufzahlen, sondern ebenso sämtliche DB-eigenen Unternehmen, womit sich der Konzern – gerade als Quasimonopolist im Fernverkehr – ins eigene Fleisch schneidet.

In der Folge werden die Ticketpreise abermals kräftig zulegen müssen. Mitschuldig daran ist freilich auch der Bund, der als Konzerneigentümer alle Möglichkeiten hätte, die DB-Führung auf Linie zu bringen. Zu allem Überfluss hat die Regierungskoalition die Trassenentgeltförderung im Güterverkehr infolge des Karlsruher Haushalsurteils aber noch deutlich gekürzt. Die Subvention umfasste 2023 noch 377 Millionen Euro, 2024 noch knapp 230 Millionen Euro und soll nach vorläufigen Plänen 2025 auf 179 Millionen Euro abschmieren.

Das »Netzwerk Europäischer Eisenbahnen«, Träger von »Die Güterbahnen«, in dem DB-Wettbewerber organisiert sind, rechnet daher mit einem effektiven Preisanstieg von 27 Prozent im Vergleich zu 2024, gegenüber 2022/23 gar mit Mehrkosten im Umfang von 121 Prozent. Ein Eingreifen der Politik sei überfällig, um die Transportwende zu retten, zitierte am Sonntag der Spiegel Verbandsgeschäftsführerin Neele Wesseln. »Bis dahin müssen Güterbahnen um ihre Existenz bangen: Plötzliche Mondpreise für immer unzuverlässigere Trassen sind ihren Kunden nicht zu vermitteln.« Es sei abzusehen, »dass wieder mehr mit dem Lkw transportiert wird«.

Der Sprecher des Bündnisses »Bahn für alle«, Carl Waßmuth, erklärte, die Regierung sei »drauf und dran, die Verkehrswende abzuwürgen«. Sei die DB auf der Suche nach Geld, »sollte sie die über 700 Tochterunternehmen in den Konzern zurückholen und die zugehörigen Vorstände entlassen«, erklärte er am Montag gegenüber jW. »Da füttert sich eine Kaste von vielen tausend Managern selbst mit Boni und exorbitanten Gehältern, und die Politik sieht tatenlos zu.«

Insgesamt legen die Trassengebühren »nur« um sechs Prozent zu. Hintergrund ist eine gesetzliche Regelung, die den Regionalverkehr vor hohen Aufschlägen schützt. Die Netzagentur gestattete hier lediglich 0,6 Prozent mehr, weshalb die DB InfraGO AG bei den anderen Sparten um so rücksichtsloser zugreift. Selbst dem Chef der Netzgesellschaft, Philipp Nagl, bereitet das Sorgen: Die Mehrkosten könnten zu einer stagnierenden Nachfrage auf dem Schienennetz führen, sagte er dem Spiegel.

»Wir müssen mit dem Bund Lösungen finden.« Tatsächlich hat das Bundesverkehrsministerium am Wochenende Handlungsbereitschaft signalisiert. Man habe die Entwicklung »eng im Blick« und setze sich in den laufenden Haushaltsverhandlungen intensiv dafür ein, kurzfristig Mittel zur Bezuschussung von Trassenpreisen im Personenfern- und Güterverkehr zu sichern, hieß es. Langfristig sei »eine grundlegende Überarbeitung der Trassenpreissystematik« in Betracht zu ziehen.

Waßmuth von »Bahn für alle« plädiert für einen radikalen Schnitt. »Wie teuer soll die Bahn eigentlich noch werden? Das Auto wird weiter massiv subventioniert und somit billig gehalten«, beklagte er. »Die Bahn muss endlich gemeinnützig gemacht werden. Genau das wünschen sich laut einer Umfrage 70 Prozent der Bevölkerung.«

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