21.03.2024 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Eine Welt am Rande des Abgrunds

Klimazustandsbericht der UN fordert drastisches und schnelles Eingreifen gegen Ökokatastrophe

Wolfgang Pomrehn

Die Erde sendet Notsignale aus. Der neueste Klimazustandsbericht zeigt, dass sich der Planet am Rande des Abgrunds befindet.« UN-Generalsekretär António Guterres fand starke Worte, als die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) am Dienstag nachmittag ihren jährlichen Klimabericht vorlegte. Emissionen aus den fossilen Brennstoffen stürzten das Klima ins Chaos. Noch könne das verhindert werden, wenn schnell und radikal gehandelt würde. Für jeden einzelnen Klimaindikator wurden 2023 neue Rekorde gesetzt, erklärte WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo in Genf. Der Klimawandel werde zur essentiellen Bedrohung für die schutzlosen Teile der Bevölkerung und sei die große Krise, vor der die Menschheit stehe.

Im globalen Durchschnitt war es im Jahr 2023 über den ganzen Planeten und das ganze Jahr gemittelt 1,45 Grad Celsius (plus/minus 0,12 Grad) wärmer als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Außerdem war das zurückliegende Jahrzehnt das wärmste seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen, die etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine räumliche Dichte und Zuverlässigkeit haben, so dass sie Aussagen über das globale Klima erlauben. 1,45 Grad Celsius ist bereits gefährlich nah an jenen 1,5 Grad Celsius, die möglichst nicht dauerhaft überschritten werden sollen. »Nie zuvor waren wir – wenn auch bisher nur vorübergehend – so nah an der in der Pariser Klimaübereinkunft verabredeten 1,5-Grad-Grenze. Die WMO-Gemeinschaft ruft den roten Alarm für die Welt aus«, warnte Saulo.

Die Ursache für die fortschreitende Erwärmung steht seit langem außer Frage: In den vergangenen 30 Jahren ist nach Angaben der WMO-Chefin die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre um elf Prozent angestiegen. Kohlendioxid (CO2) wird insbesondere bei der Verbrennung von Erdgas, Kohle und Erdölprodukten sowie durch Entwaldung freigesetzt.

Die Nachrichten aus Rio de Janeiro seien sehr besorgniserregend, so Saulo weiter. Der dortige Wetterdienst hatte zum Wochenbeginn eine Lufttemperatur von 42 Grad Celsius gemeldet. Zugleich war die Luftfeuchtigkeit so extrem, dass die Meteorologen eine gefühlte Temperatur von 62,3 Grad Celsius angaben. Ein lebensbedrohlicher Wert. Die Menschen seien auf eine solche Hitze nicht vorbereitet, es fehle an Infrastruktur und in den Häusern der Armen an Klimaanlagen, warnte die argentinische Chefmeteorologin, die der WMO seit Anfang des Jahres vorsteht. Die Organisation stellt sozusagen den Dachverband der nationalen Wetterdienste dar und ist eine der ältesten der UN. Eines ihrer wichtigen Ziele sei es, weltweit die Frühwarnsysteme auszubauen, die bisher nicht einmal die Hälfte der Menschheit vor Unwettern warnen können.

Das Jahr 2023 habe nicht nur einen neuen Temperaturrekord aufgestellt, erklärte Omar Baddour, Chef der WMO-Klimaabteilung. Die Temperatur habe zudem auch einen gewaltigen Satz gemacht, der noch nicht im Detail verstanden sei. Extremereignisse wie Hitzewellen, Dürren, extreme Niederschläge, Waldbrände und die Intensität der tropischen Wirbelwinde würden zunehmen, Menschenleben bedrohen, Millionen zu Klimaflüchtlingen machen und viele Milliarden US-Dollar an wirtschaftlichen Schäden verursachen.

In den Weltmeeren, deren Oberflächentemperaturen nun schon seit über einem Jahr auf Rekordniveau liegen, nähmen die Hitzewellen zu. Das ist für viele Ökosysteme eine konkrete Bedrohung, wie etwa für die Korallenriffe, die für die Fischerei eine herausragende Bedeutung haben. In den letzten Wochen gab es aus diversen tropischen und subtropischen Regionen Berichte einer beginnenden Korallenbleiche. Halten diese Ereignisse länger an, sterben die Riffe großflächig ab. Seit einigen Jahren herrscht in der Wissenschaftsgemeinde Einigkeit, dass jenseits einer längerfristigen globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau keines der tropischen Korallenriffe überleben wird. Noch sei Zeit gegenzusteuern, so die WMO-Chefin, doch müsse die Menschheit dafür zusammenarbeiten: Sonst sei sie verloren.

https://www.jungewelt.de/artikel/471840.klimazustandsbericht-der-un-eine-welt-am-rande-des-abgrunds.html