06.03.2024 / Inland / Seite 4

Knall nach Mitternacht

Wilde Hatz auf mutmaßliche Ex-RAF-Mitglieder Garweg und Staub stößt auf Widerspruch. Hausdurchsuchungen und Autobahnkontrollen

Kristian Stemmler

Mit enormem Aufwand setzen die Strafverfolgungsbehörden ihre Hatz auf die mutmaßlichen Ex-Mitglieder der RAF Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub fort. In der Nacht zum Dienstag hat ein Studentenwohnheim in Berlin-Friedrichshain Besuch vom schwerbewaffneten niedersächsischen Sondereinsatzkommando (SEK) bekommen. Bewohner berichteten dem Tagesspiegel, sie hätten kurz nach Mitternacht einen Knall gehört, der »Zugriff« sei sehr schnell gegangen. Eine Sprecherin des federführenden Landeskriminalamts (LKA) Niedersachsen sagte dpa am Dienstag, es habe Hinweise auf das Objekt gegeben. Die Einsatzkräfte hätten eine Wohnung des Heims durchsucht, dort zwei Personen angetroffen und deren Identität festgestellt. Festnahmen habe es keine gegeben.

Nach Angaben der Sprecherin setzten die Ermittler am Dienstag die Durchsuchung einer Wohnung an der Grünberger Straße (ebenfalls Friedrichshain) fort, die am Sonntag abend begonnen worden war. Am Montag hatten die Fahnder außerdem eine weitere Wohnung in dem Stadtteil, an der Corinthstraße, durchsucht. Auch dort hielten sich weder Garweg noch Staub auf.

Am Montag nachmittag hatte es im Rahmen der Fahndung einen Einsatz außerhalb Berlins, auf der Autobahn A 5 südlich von Darmstadt, gegeben. An einer Autobahnraststätte kontrollierten SEK-Einsatzkräfte zwei Personen. Dabei seien deren Identitäten festgestellt worden, erklärte eine Sprecherin des LKA Niedersachsen dem Hessischen Rundfunk (HR). Einem Mann seien zwischenzeitlich Handschellen angelegt worden, es sei aber zu keinen Festnahmen gekommen. Dem Sender zufolge ließ die Polizei einen offenbar gemieteten Camper abtransportieren. Zu Hintergründen wollte die LKA-Sprecherin keine Angaben machen.

Derzeit konzentrieren sich die Ermittler bei ihrer Jagd vor allem auf Garweg, der offenbar weichgekocht werden soll. Ihm sei sein Heim weggenommen worden, er sei »richtig auf der Flucht«, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden laut dpa. Damit bezog er sich auf den Bauwagen, der am Wochenende auf dem Areal des Vereins »FIPS e. V.« sichergestellt wurde – und in dem Garweg nach Ansicht der Behörden zumindest zeitweise gelebt haben soll. Der Sprecher sagte, er befürchte eine Kurzschlusshandlung des Gesuchten und appellierte an diesen, sich zu stellen. Anders denken die Anwohner: Eine Rentnerin aus einer nahegelegenen Erdgeschosswohnung sagte am späten Sonntag abend gegenüber junge Welt: »Was die hier einen Aufriss machen für so ein paar ältere Leute. Sollen sie die doch lassen. Zu DDR-Zeiten hätte es so was nicht gebraucht«.

Nicht nur die Anwohner zeigen sich solidarisch. So veröffentlichten anonyme Autoren am Montag abend auf dem Portal indymedia.org unter anderem Kennzeichen von Fahrzeugen des SEK und anderer Einheiten, Fotos polizeilicher Maßnahmen und von Kontrollstellen sowie interne Informationen zur Arbeit der Ermittler. Im Text dazu heißt es, man wolle »dieser Menschenjagd etwas entgegensetzen und unsere Solidarität mit Burkhard, Ernst-Volker, Daniela und allen untergetauchten Linken auf dieser Welt zeigen«.

In Berlin habe man derzeit das Gefühl, »in die 70er Jahre zurückversetzt zu werden«. »Übermäßige Bullenpräsenz, Straßensperren mit ›allgemeinen Verkehrskontrollen‹, Hubschrauber und tägliche Razzien« zeichneten ein »Bild der Terroristenjagd – wie schon zu Zeiten des ›Deutschen Herbstes‹«. Dabei bauten die Ermittler »auf deutsche Tugenden, allen voran das Denunziantentum«. Springers Bild echauffierte sich am Dienstag über den auf indymedia.org publizierten Text. Schlagzeile: »Linksradikale sabotieren RAF-Fahndung«.

https://www.jungewelt.de/artikel/470756.staat-und-raf-knall-nach-mitternacht.html