15.02.2024 / Inland / Seite 5

100. Streiktag für Tarifvertrag

Beschäftigte bei Schrott- und Recyclingunternehmen SRW Metalfloat im sächsischen Espenhain kämpfen weiter für eine Tarifierung ihres Betriebs

David Maiwald

Der längste Streik in der Geschichte der Bundesrepublik dauerte 114 Tage. Von Oktober 1956 bis Mitte Februar 1957 traten Metallarbeiter in Schleswig-Holstein 16 Wochen lang in den Ausstand. Der Streik war wegweisend, eine seiner politischen Erfolge ist die Durchsetzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Produktionsarbeiter – damals ein Angestelltenprivileg. Die Beschäftigten des Recyclingbetriebs SRW Metalfloat im sächsischen Espenhain sind ab diesem Donnerstag bereits seit 100 Tagen im Streik. Sie wollen die Einführung eines Tarifvertrags in ihrem Betrieb und könnten damit ebenfalls wegweisend sein – für die weitgehend untarifierten ostdeutschen Bundesländer.

»Wir wollen die Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen verbessern«, stellte Michael Hecker am Mittwoch im jW-Gespräch klar. Sachsen sei im bundesweiten Vergleich »auf dem letzten Platz, was Tarifbindung angeht«. Die streikenden Beschäftigten könnten mit einem erfolgreichen Arbeitskampf also die wichtige Erfahrung machen, dass sich »die einseitige Festlegung von Entgelten und Arbeitsbedingungen verändern lässt, wird gemeinsam und organisiert ein Ziel verfolgt«, wie der Streikleiter und zweite Geschäftsführer der IG Metall Leipzig erklärte.

Unterstützungsbesuch bekamen die Beschäftigten in Espenhain bisher von DGB-Chefin Yasmin Fahimi und der IG-Metall-Vorsitzenden Christiane Benner, auch der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider, sprach schon vor Ort zu den Metalfloat-Arbeitern. An diesem Donnerstag haben sich nun weitere Bundes-, Landes- und Lokalpolitiker zum 100. Streiktag angekündigt, teilte die Gewerkschaft mit.

»Verweigern, wegducken, keine Verantwortung übernehmen«, beschrieb Streikleiter Hecker das Verhandlungsgebaren der Geschäftsführung von SRW wie auch von Mutterkonzern Scholz Recycling GmbH seit August. In der Scholzschen Unternehmensphilospohie heißt es, man respektiere »das Recht auf Tarifverhandlungen«, während ein »offener und lösungsorientierter Umgang mit der Arbeitnehmervertretung« für eine »vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit« verfolgt werde. Für Hecker ein »Skandal«, diene die Eigendarstellung der Geschäftsführung doch nur als »Feigenblatt«, »während man nach innen völlig anders agiert«. Der Mutterkonzern habe dem örtlichen Geschäftsführer Thomas Müller im August 2023 die Befugnis entzogen, Tarifverhandlungen zu führen, teilte die IG Metall mit.

»Das Unternehmen lehnt den Abschluss eines solchen Vertrages ab. Es fehlt also an der Basis für eine Einigung«, erklärte besagter Geschäftsführer am Mittwoch auf jW-Anfrage. Der Vorwurf der Gewerkschaft, Scholz breche mit Firmenprinzipien, gehe »grundsätzlich fehl«, schließlich sei der Mutterkonzern »nicht vom Streik betroffen«. Die Scholz Recycling GmbH ließ eine Anfrage bis jW-Redaktionsschluss unbeantwortet.

Bei den Kolleginnen und Kollegen der SRW sei die Stimmung nach 100 Tagen Streik »unverändert kämpferisch«, erklärte Gewerkschafter Hecker. Alle seien weiterhin »fest entschlossen«. Eine Tarifierung des Betriebs würde mehr als eine Erhöhung, etwa der »aktuell 13,60 Euro pro Stunde für die Arbeit am Sortierband« bedeuten. »Es geht um Planungssicherheit und Rechtssicherheit«. Wegen der krisenhaften Entwicklung und den Preisschocks der vergangenen Monate fehle vielen Kolleginnen und Kollegen »die Luft zum Atmen«.

Acht Prozent mehr Entgelt bei einer reduzierten Arbeitszeit von 38 Wochenstunden und einer Erhöhung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes auf je 1.500 Euro soll ein neuer Tarifvertrag bei der SRW festschreiben. »Das Tarifpingpong der Unzuständigkeiten der Geschäftsführung bringt uns dabei nicht weiter«, sagte Hecker zu jW und stellt klar: »Wir streiken nicht, um Rekorde zu brechen.« Die Kolleginnen und Kollegen seien aber bereit, den Ausstand zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen noch länger fortzuführen, sollte die Geschäftsführung Verhandlungen weiterhin verweigern.

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