Demnächst Heldenklau
Von Arnold SchölzelBoris Pistorius (SPD) treibt den »Zeitenwende«-Umbau der Bundeswehr zielstrebig voran. Das 2022 für Rüstung aufgelegte »Sondervermögen Bundeswehr« in Höhe von 100 Milliarden Euro ist fast vollständig verplant. Der »Operationsplan Deutschland« wird seit Ende März getestet. Am 4. April verkündete der Kriegsminister die Aufstellung eines neuen Generalstabs, am 30. April unterzeichnete er den »Osnabrücker Erlass« – das vierte Dekret dieser Art in der Geschichte der Bundeswehr –, der nach seinen Worten die »formale Grundlage für eine kriegstüchtige Führungsorganisation« ist. Nun fehlen noch Soldaten.
Der Minister kündigte in den vergangenen Tagen mehrfach Vorschläge zur Lösung des Problems an. Am Donnerstag nannte er in Washington die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 einen »Fehler«, am Freitag nannte er in Ottawa Ende Mai als Termin. Bereits zuvor hatte die Welt am Sonntag über drei Wehrpflichtmodelle berichtet, die Pistorius vorgelegt worden seien. Am Sonntag zitierten auch Bild am Sonntag und Neue Zürcher Zeitung aus dem Entwurf. Der erste Vorschlag sehe keinen Pflichtdienst vor, sondern das freiwillige Ausfüllen eines Fragebogens aller erfassten Angehörigen eines Jahrgangs – rund 750.000 Frauen und Männer. Dann sollen Freiwillige angeworben werden. Das sei laut Ministerium aber »am wenigsten erfolgversprechend.«
Das zweite Modell enthält »die Wiedereinführung einer grundgesetzkonformen Auswahlpflicht«, um einen Bedarf in einem »Korridor von 30.000 bis 40.000« Rekruten pro Jahr zu decken. Frauen sollen weiterhin auf freiwilliger Basis angeschrieben werden, für Männer werden Onlinefragebogen und eventuelle Musterung verpflichtend. Das sei ein »starkes politisches Signal« und »aus personalplanerischer Sicht« geeignet, allerdings müsse der Ersatzdienst wiederbelebt werden.
Die dritte Option ist demnach eine »geschlechtsneutrale Wehrpflicht«, der in einem weiteren Schritt eine »allgemeine Dienstpflicht« folgen soll. Dabei gehe es um Feuerwehren, Sanitätsdienste oder das Technische Hilfswerk. Ohne allgemeine Dienstpflicht sei die Frage der Wehrgerechtigkeit »kritisch«, mit ihr unproblematisch. Dies sei nach Ansicht der Beamten »die vielversprechendste Option im Sinne der Bedarfsdeckung«, erfordere allerdings eine Grundgesetzänderung.
Die dürfte mit Hilfe von CDU und CSU kein Problem sein. Die CDU hatte am Dienstag auf einem Parteitag in Berlin im neuen Grundsatzprogramm eine »Kontingentwehrpflicht« gefordert. Pistorius kommentierte das in den USA: »Ich freue mich, dass die Union auf einem ähnlichen Weg unterwegs ist, wie ich das bis jetzt erarbeitet habe.« CSU-Chef Markus Söder versuchte zum Pistorius-Tempo aufzuschließen und verlangte in Bild am Sonntag: »Es braucht rasch einen Masterplan für die Einführung der Wehrpflicht.« Für die sind laut einer Umfrage des Blatts 46 Prozent, dagegen 33 Prozent. In den Regierungsparteien überwog bisher die Ablehnung, aber bereits am Freitag wurde SPD-Kochef Lars Klingbeil in der Rheinischen Post mit den Worten zitiert: »Jede junge Staatsbürgerin und jeder junge Staatsbürger sollte sich einmal mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie sich einen Dienst für das Land vorstellen können.« Am selben Tag verlangte die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), im Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Bundeswehr müsse endlich den gesetzlich vorgeschriebenen Frauenanteil von 20 Prozent statt gegenwärtig 13 Prozent erreichen. Pistorius arbeitet daran.
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Die Verpflichtung von Staatsbürger:innen gegenüber dem Gemeinweisen besteht in der Zahlung von Steuern. Frondienste sind als Relikt aus der Feudalzeit anzusehen. Es ist gewissermaßen logisch, dass die politische Rechte – AfD, FDP, CDU/CSU und inzwischen leider auch die SPD – aufgrund ihres pathologischen Verhältnisses zur Steuerpflicht und -gerechtigkeit sowie ihrer illusionären Träume von einer steuerfreien Anomie derartige Frondienste empfehlen müssen, weil sie als genuine Staatsfeinde jegliche Steuer als bessere Alternative zu Frondiensten ablehnen. Im Umkehrschluss kann das Eintreten für Staatlichkeit, Gemeinsinn, Solidarität und – vorab auch bürgerliche – Demokratie ausschließlich steuerfreundlicheren Parteiformationen zugebilligt werden.
Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass auf militärische »Verteidigung« unabhängig von Steuer- oder Fronpflicht natürlich a priori und überhaupt verzichtet werden kann und muss – welche Entscheidung außerhalb unserer Republik gerade in Konfliktgebieten, z. B. Nahost oder in der Nordwest-Ukraine – die Lebensgefahr signifikant verringern kann: Schluss mit »Verteidigung« – weltweit!