Der Werbespruch für die
junge Welt kommt gut an.
»Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie
lügen« beschreibt zum einen die Erfahrung, daß in
vielen Veröffentlichungen Wahrheit versteckt wird. Der Spruch
weckt zum anderen aber auch eine Erwartungshaltung, definiert einen
Anspruch. Der nicht leicht zu erfüllen ist. Denn wir beziehen
auch Nachrichtenagenturen und erkennen nicht in jedem Fall die
ideologische Begrenztheit der dort angebotenen Texte. Deshalb ist
die Zuarbeit freier Autorinnen und Autoren wichtig. Bei der
schlechten Bezahlung ist es ihnen kaum möglich, intensiv zu
recherchieren.
Zum kommenden Mittwoch treffen wir uns um 18.15 Uhr mit freien
Autoren in der Redaktion der
jungen Welt, um über
künftige Zahlungsmodalitäten zu sprechen. Für eine
alternative journalistische Arbeit bedarf es auch einer personell
und technisch gut ausgestatteten Kernredaktion. Auch hier
stoßen wir täglich an Grenzen. Solche Schwierigkeiten
beim Aufspüren und Schreiben der Wahrheit können nur
ökonomisch gelöst werden: Langfristig durch eine
erhöhte Zahl bezahlter Abonnements, kurzfristig durch eine
Preiserhöhung.
Nicht nur Agenturberichte, auch sachliche Beiträge der
jW-Autoren spiegeln (wie anderswo auch) die konkrete Meinung, das
Weltbild des Autors und damit des Mediums wider. Der Bericht wird
beeinflußt vom Hintergrundwissen des Autors und von der Wahl
seiner Quellen. Hinter jedem Bericht der
jungen Welt steht
deshalb der Name es Autors. So setzt sich Thies Gleiss am 20.Mai
2010 auf den Themaseiten mit der Diskussion zur Regierungsbildung
in Nordrhein-Westfalen auseinander. SPD und Grüne, so seine
These, wollen gar nicht mit der Linkspartei über eine
Regierungsbildung verhandeln. Das gehe aus deren Bedingung hervor,
die Linkspartei müsse zuerst ihr Verhältnis zur DDR
klären. Wollte man da mitspielen, meint Gleiss, würde das
etwa so gehen: »An der Berliner Mauer starben 136 Menschen
eines gewaltsamen Todes, das ist unmenschlich und verbrecherisch,
aber in Afghanistan haben von SPD und Grüne geschickte
Mördersoldaten schon deutlich mehr Menschen umgebracht.«
Kurzum: Am ersten Verhandlungstag werden weder die Linkspartei ihr
Verhältnis zur DDR noch die Grünen und die SPD ihres zum
Krieg klären.
Die Berliner Staatsanwaltschaft will nun unserem Autoren das Recht
absprechen, diese Gedanken zu äußern. Sie sieht darin
keine zugespitzte Meinung, sondern eine Beleidigung der in
Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten. Weil Gleiss sie im
rechtlichen Sinne als Mörder bezeichnet habe, so die
Staatsanwältin A. Hoffmann. Was völlig absurd ist, denn
die Meinungsäußerung wurde im Kontext einer polemischen
Auseinandersetzung mit einer entsprechend scharfen Gegenposition
getroffen. Genausogut könnte man die SPD-Abgeordnete wegen
Beleidigung verfolgen, da sie den Dienst eines DDR-Grenzers an der
Mauer als verbrecherisch bezeichnet habe. Selbstverständlich
geht es hier um eine politische und nicht um eine juristische
Auseinandersetzung.
Wer darf nun welche Wahrheit, welche Meinung schreiben? Nicht erst
seit dem Massaker von Kundus oder dem Umstand, daß
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zumindest indirekt an der
Tötung verdächtiger Personen mitwirken, ist die
Behauptung, daß die Bundeswehr in einer Friedensmission
unterwegs sei, eine faustdicke Lüge. Menschen, die dabei
mitwirken, Kinder und andere Zivilisten verbrennen zu lassen, egal
ob im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan oder anderswo, kann
man umgangsprachlich als Mörder bezeichnen. Daß man sie
juristisch nicht ohne weiteres so nennen darf, liegt an den
politischen Machtverhältnissen im Lande. Die vielgerühmte
Gewaltenteilung verhindert nicht, daß brutalste Handlungen
»unserer Soldaten« von der Heimatfront medial
unterstützt und juristisch gedeckt werden. Wer aber solche
Wahrheiten schreibt, geht mittlerweile erhebliche Risiken
ein.
Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen.
Überleben kann man mit so einer Position nur, wenn ausreichend
Menschen diese Zeitung lesen und ihrer Genossenschaft beitreten.
Und weil das zumindest bisher so war, können wir am 7. Oktober
gemeinsam 15 Jahre neue
junge Welt und LPG
junge Welt
eG feiern. Damit es auch für die Zukunft reicht, werden sich
Verlag, Redaktion und Leserschaft noch mächtig anstrengen
müssen.
15 Jahre Verlag 8. Mai, 15 Jahre Genossenschaft, kleine Feier am
Donnerstag, 7. Oktober 2010, ab 19 Uhr, in der
jW-Ladengalerie, Torstraße 6,
10119 Berlin
Treffen freier Autorinnen und Autoren der
jungen Welt,
Mittwoch, 1.September, 18.15 Uhr in den Räumen der Redaktion
(bitte mit Voranmeldung:
dk@jungewelt.de)