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Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 5 / Inland
Finanzpolitik

»Schuldenbremse lösen«

»Memorandum-Gruppe« legt alternatives Wirtschaftsgutachten 2024 vor
Von Peter Kremer
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Die Schuldenbremse begrenzt die zulässige konjunkturunabhängige Neuverschuldung des Bundes schematisch auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (»Memorandum-Gruppe«) hat zum 1. Mai ihr neues »Memorandum« vorgelegt. Es versteht sich als nicht kapitalorientierte Alternative zu den Publikationen der etablierten Sachverständigen und Wirtschaftsinstitute sowie der herrschenden Wirtschaftswissenschaft. Die Ausgabe 2024 trägt den Titel »Schuldenbremse lösen: Auftakt zu gerechtem Klimaschutz«.

Deutschland befinde sich seit geraumer Zeit in einer Mehrfachkrise, die durch wirtschaftliche Stagnation, Preissteigerungen, soziale Spaltung und ökologische Probleme gekennzeichnet sei, wird konstatiert. Dem Staat komme angesichts dieser Situation eine »strategische Rolle in der Gesamtwirtschaft« zu. Die 2009 im Grundgesetz verankerte sogenannte Schuldenbremse begrenze jedoch die zulässige konjunkturunabhängige Neuverschuldung des Bundes schematisch auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – es sei denn, es werde eine »außergewöhnliche Notsituation« festgestellt. Das Memorandum bevorzugt demgegenüber die flexiblere »goldene Regel«, nach der eine öffentliche Kreditaufnahme zur Finanzierung von Investitionen als finanzpolitisch unbedenklich gilt. Sie sei überdies generationengerecht und verursache weder Verdrängungs- noch Inflationseffekte. Selbst Bundesbank und Sachverständigenrat betonten mittlerweile, dass der Spielraum für öffentliche Neuverschuldung ausgeweitet werden müsse. Die Regierungspolitik halte jedoch an ihrem Mantra aus Einhaltung der Schuldenbremse bei Ablehnung von Steuererhöhungen fest. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 zur Umbuchung einer Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds habe nicht zum Umdenken geführt. Neben der Abschaffung der Schuldenbremse fordert das Memorandum die Abschaffung bzw. die Reformierung der EU-Fiskalregeln, eine effektive Regulierung der Finanzmärkte, eine internationale Mindestbesteuerung von Unternehmen und insgesamt ein gerechteres Steuersystem.

Der riesige Finanzbedarf eines sozialökologischen Umbaus sei unter den Bedingungen der Schuldenbremse nicht abzudecken. Der Klimaschutz, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und »bessere Sozialleistungen (…), die allen Menschen unabhängig von ihrem Erwerbsstatus eine angemessene Existenz oberhalb der Armutsschwelle garantieren«, stehen im Mittelpunkt des Vorschlags zu einem umfangreichen Investitions- und Ausgabenprogramm.

Es wird betont, »dass Klimaschutz ohne soziale Gerechtigkeit nicht vorstellbar ist«. Die Forderung nach einem Klimageld aus der CO2-Bepreisung ist nur ein Beispiel für notwendige sozialpolitische Komponenten in der Umsetzung von Maßnahmen zum Klimaschutz. Verkehrs- und Wärmewende seien gerecht zu gestalten. Überdies fehle bezahlbarer Wohnraum. Es bedürfe eines Wohnungsbestandes, »der dauerhaft im öffentlichen Eigentum bleibt und so für demokratische Gestaltung offen ist«.

Die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung wird als zentrales gesellschaftliches Problem gesehen: Reallohnverluste, einmalige und damit nicht nachhaltige »Inflationsausgleichszahlungen«, unzureichender Mindestlohn, geringe Tarifbindung und eine hohe Armutsquote – insbesondere bei Rentnerinnen und Rentnern – seien die Triebkräfte weiterer sozialer Spaltung. Die Arbeitsgruppe »tritt für eine Stärkung der Erwerbsarbeit ein, die allen Erwerbspersonen ein auskömmliches, armutsfestes Einkommen und eine stabile Altersversorgung garantiert«.

Schließlich werden im Memorandum 2024 Höhe und Dynamik der Militärausgaben kritisiert: »Wer die Schuldenbremse unbedingt einhalten will und Steuererhöhungen konsequent ablehnt, hat bei einer kräftigen Erhöhung der Militärausgaben keine andere Wahl, als dringende Aufgaben zu vernachlässigen.«

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