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Aus: Ausgabe vom 06.05.2024, Seite 16 / Sport
Rodeo

Die Letzten am Wettisch: Bullenreiten in Louisville, Kentucky

Bullenreiten in Louisville, Kentucky
Von Maximilian Schäffer
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Das Publikum in der zu großen Halle schien eher benommen als beglückt: Cassio Dias dankte wie immer dem Höchsten

Louisville, Kentucky: Heimat der Discokugel. Richtig gelesen. In den 1970er Jahren wurden 90 Prozent der Discokugeln weltweit in der Pferdestadt hergestellt. Eine Ironie der Geschichte. Sozusagen als Antithese zur Befreiung von Sexualität und Sinn durch die sehr schwule Discobewegung. Doch galt und gilt »Derby City« als muffiges, reaktionäres Nest. Nicht zuletzt nach Hunter S. Thompsons berüchtigter Reportage über das alljährlich stattfindende, dekadente und depravierte Kentucky Derby, dem wichtigsten Pferderennen der USA. Dort wird von Männern und Frauen in ausladenden Hüten Whisky in rauen Mengen gesoffen. Weil Bourbon hart und stark ist, mischt man ihn mit viel Eis, Zucker und Zweigen frischer Pfefferminze. Sie nennen es »Mint Julep« – das hinterwäldlerische Pendant zu Erdbeeren und Pimm’s bei Wimbledon.

Louisville, Einwohnerzahl um die 630.000, gilt als kulturelle Schnittstelle. Man kann sich hier nicht wirklich entscheiden, ob man sich zum Süden oder zum Mittleren Westen der USA zählen will. Der Akzent ist breit, doch das Essen ist karg und fettig. Nach welcher kentuckischen kulinarischen Spezialität ist das »KFC Yum! Center« (mit 23.000 Sitzplätzen die größte Basketballarena des Landes) wohl benannt? Genau. Auch die weltweit agierende Fastfood-Kette, bekannt für frittierte Antibiotikahühnerteile, hat ihren Hauptsitz in Louisville. Wie das so üblich ist, manifestieren Imperien sich heutzutage nicht mehr mit Statuen und Mahnmalen, sondern mit Hallen. So ein Eventcenter müffelt schließlich streng nach Wohltätigkeit. In einem Land, in dem es öffentliche Gebäude, außer zum Einknasten (selbst das Absitzen ist privatisiert), nie gab, nimmt die ausgehungerte Bevölkerung gerne alles an stumpfsinniger Unterhaltung an.

Dankbar zogen die professionellen Bullenreiter der PBR also am 26. April ins Goldbroilerstadion ein, ihre eigene Version des viehischen Investments zu präsentieren. Wer in Kentucky nämlich richtig Kohle hat, der wohnt im Nordosten von Louisville und präsentiert seinen Reichtum mit sündhaft teuren Reitpferden auf der heimischen Koppel. Darf es zur Abwechslung ein Bulle sein? Pferdesport ist schließlich reichlich unpopulär geworden. Und das weltweit. Einzig in Frankreich versammeln sich noch Rentner, Arbeiter und Arbeitslose zur Mittagszeit am Wettisch. Die letzten lukrativen Trabrennen wurden übrigens bis vor kurzem auch noch in Berlin-Karlshorst, extra für den französischen Markt, abgehalten.

So ein Pferdehuf im Gesicht macht keinen Spaß, so ein Bullenhorn in der Kinnlade ist aber auch kein Zuckerschlecken. Der ehrenwerte Eduardo Aparecido bekam es diesmal ordentlich zu spüren. Er blieb liegen, wurde abtransportiert, saß am nächsten Tag wieder auf dem Bullenbuckel, absolvierte das Event heldenhaft als Neunter. Cassio Dias, die Weltspitze, scheint unaufhaltbar, gewann auch dieses Event. Schmallippig dankte er Gott auf portugiesisch. Das Publikum in der zu großen Halle schien eher benommen als beglückt.

Wer sich in Louisville erst richtig am Bourbon freigesoffen hat, der wird nach dem Bullenreiten endlich so schwul, dass er sich unter die Disco­kugel schwingt. All das hat gute Tradition. Ebenso wie die Weltmeisterschaft im Bullenreiten. Die Endrunden finden ab Donnerstag in Texas statt. Es bleibt berauschend spannend.

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