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Aus: Ausgabe vom 06.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Ewigkeitschemikalien

Erfolg für Bayer AG

US-Gericht hebt Urteil zu Schadenersatzforderung wegen PCB-Schädigung auf
Von Mawuena Martens
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Protestaktion in Hamburg 2019: Widerstand gegen Bayer- und Monsanto-Produkte hat lange Tradition

Bis zu einem Verwendungsverbot waren sie in allen möglichen Produkten der Bau-, Elektro- und Kunststoffindustrie enthalten: Die Rede ist von sogenannten polychlorierten Biphenylen, kurz PCB, also langlebigen chlorierten Kohlenwasserstoffen. Insgesamt 209 mögliche Verbindungen hat die Stoffgruppe. Sie reichern sich in der Nahrungskette an und stehen in dringendem Verdacht, krebserregend zu sein.

Eine Tochter des US-Unternehmens Monsanto stellte die Giftstoffe bis ins Jahr 1977 als einzige in den USA her. 2018 wurde Monsanto von dem deutschen Pharma- und Agrarriesen Bayer aufgekauft. Dieser sieht sich daher mit Hunderten Klagen Geschädigter konfrontiert. In einem dieser Verfahren hat das Leverkusener Unternehmen nun einen Etappensieg errungen, der sich auch auf weitere Klagen auswirken könnte.

Geklagt hatten drei Lehrer aufgrund von Hirnschäden. Diese sehen sie durch PCB in Beleuchtungskörpern in einer Schule in Monroe nördlich von Seattle verursacht. Ein Gericht im Bundesstaat Missouri hatte ihnen im Jahr 2021 über 185 Millionen US-Dollar Schadenersatz zugesprochen. In Missouri hat Monsanto seinen Hauptsitz. Doch ein Berufungsgericht im US-Bundesstaat Washington hob das Urteil der Vorinstanz am Mittwoch auf und gab Bayer damit recht. Die Begründung des Richters: Die Gesetze des Bundesstaates Missouri seien nicht richtig angewandt worden, weil die Klagen Jahrzehnte nach der Einstellung der PCB-Produktion durch das Unternehmen eingereicht worden waren. Nach so langer Zeit sei Monsanto daher möglicherweise nicht mehr haftbar.

Durch das Urteil wird der Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen. Während der Anwalt der Kläger ankündigte, notfalls neu verhandeln zu wollen, frohlockte Bayer. Es sieht sich etwa 200 ähnlichen Klagen im Zusammenhang mit der Schule gegenüber. Insgesamt 1,7 Milliarden US-Dollar an Schadenersatz und Strafschadenersatz sind in einigen dieser Fälle zugesprochen worden. Das Unternehmen gab nun an zu prüfen, inwiefern sich eine Revision wie im jetzigen Fall auch auf ähnliche Fälle anwenden lasse.

Die Anleger reagierten prompt: Am Donnerstag legte die Bayer-Aktie um fünf Prozent zu und setzte sich an die Dax-Spitze. Schon länger hat der Konzern mit einer trägen Agrarkonjunktur, einem Rückschlag bei der Entwicklung eines Medikaments sowie aufgrund der vielen Rechtsstreitigkeiten in den USA zu kämpfen. Neben Schadenersatzklagen wegen der Auswirkungen der PCB-Chemikalien wehrt sich das Unternehmen gegen Zehntausende Klagen in den USA im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichtungsmittel »Roundup«, in dem Glyphosat enthalten ist. Zwar behauptet Bayer, dass die Unbedenklichkeit von Glyphosat wissenschaftlich bewiesen sei, dennoch verkündete Vorstandschef William N. Anderson im März, dass an einem neuen Mittel gearbeitet werde. Die Substanz werde bereits an echten Pflanzen getestet. Eine Markteinführung wird für das Jahr 2028 angestrebt. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte den Unkrautvernichter 2015 als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft. In der EU wurde Glyphosat im November 2023 für weitere zehn Jahre genehmigt. In den USA verbieten einzelne Gemeinden den Einsatz.

Auch in Deutschland sind PCB verboten worden, allerdings erst seit 1989 und damit zehn Jahre später als in den USA. Laut Umweltbundesamt werden die Stoffe weltweit mittlerweile nicht mehr hergestellt. Dennoch kommt es weiterhin zu ihrer Freisetzung, da diese als Nebenprodukte in der Metallindustrie, bei Syntheseprozessen von Medikamenten und Chlorkohlenwasserstoffen, bei der unvollständigen Verbrennung von chlorierten Produkten und der Herstellung von Pigmenten und Tinte entstehen können. Naturereignisse wie Waldbrände und Vulkanausbrüche können ebenfalls zu ihrer Emission führen.

Des weiteren können die Stoffe beispielsweise bei Sanierungen alter Häuser mit PCB-haltigen Lacken oder Dichtungsmassen in die Umwelt gelangen. Insgesamt jedoch ist die Belastung in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. Mai 2024 um 11:44 Uhr)
    Was für Erfolg? Gut bekannt ist, dass der Teufel stets im Detail steckt, eine Tatsache, die der Artikel treffend widerspiegelt. Zusätzlich dazu möchte ich im Rahmen des behandelten Themas einen Blick über den Tellerrand wagen und feststellen, dass sämtliche deutsche Großkonzerne, die in den USA tätig sind, ein ähnliches Schicksal wie die Bayer AG erleiden. Erfolgreiche deutsche Weltunternehmen wie Daimler, die Telekom, die Deutsche Bank und sogar der Versicherungsprimus Allianz sahen sich gezwungen, einen beträchtlichen Teil ihrer weltweiten Gewinne in den USA zu verlieren. Daher mag es zwar ermutigend sein, dass ein US-Gericht ein Urteil zur Aufhebung von Schadensersatzforderungen wegen PCB-Schäden gefällt hat, jedoch ist das Urteil noch nicht einmal rechtskräftig. Woran ich anknüpfen möchte: Unter solchen Voraussetzungen stellt sich die Frage, ob es überhaupt für deutsche Firmen lohnt sich, in den USA tätig zu sein.

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