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Aus: Ausgabe vom 08.05.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Gedenken an Widerstandskämpferin

Partisanin »Pierrette«

Vor 80 Jahren haben die Nazis die Kommunistin Olga Bancic in Stuttgart hingerichtet. Sie bekämpfte die Faschisten in Spanien und Frankreich
Von Florence Hervé
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Aufnahme von Olga Bancic in den Akten der rumänischen Geheimpolizei Siguranța (undatiert)

Das Gefängnis wurde zu ihrer »Universität« – sie habe dort alles gelernt, sagte sie, nicht nur Lesen und Schreiben. Bei ihrer ersten Inhaftierung war Olga Bancic zwölf Jahre alt. Am kommenden Freitag jährt sich die Hinrichtung der Rumänin, Jüdin, Kommunistin und Migrantin zum 80. Mal. Bancic wurde von den Nazis an ihrem 32. Geburtstag, dem 10. Mai 1944, mit dem Fallbeil im Hof des alten Justizgebäudes in Stuttgart hingerichtet. Bereits am 21. Februar dieses Jahres, dem Tag der Pantheonisierung vom Partisanenführer Missak Manouchian in Paris, hatten etwa hundert Menschen der mutigen Résistancekämpferin vor dem Gerichtshof sowie im Lern- und Gedenkort Hotel Silber in Stuttgart gedacht.

Die im damaligen Bessarabien geborene Olga Bancic wuchs in einer jüdischen Großfamilie auf. Als Kind musste sie in einer Matratzenfabrik schwer arbeiten. Die Arbeiterinnen und Arbeiter streikten oft und wurden ebenso häufig inhaftiert. Bancic engagierte sich früh in der Gewerkschaft und der kommunistischen Jugend. Später studierte sie Marxismus in Bukarest, wo sie ihren künftigen Gefährten, den Dichter und Kommunisten Jacob Salomon alias Alexandru Jar, kennenlernte. Nach erneut drei Jahren im Gefängnis ging sie ins Exil, überquerte Grenzen zu Fuß und kam nach wochenlanger Reise 1938 in Paris an.

Zur Verteidigung der Spanischen Republik gegen die von den Nazis unterstützten Faschisten um General Franco half Bancic, Waffen für die Internationalen Brigaden zu schmuggeln. Nach dem Verbot der Kommunistischen Partei musste sie im Untergrund kämpfen. Mit der Besetzung Frankreichs durch die Nazis 1940 wurde der Alltag schwierig. Bancic war nun aktiv in einer bewaffneten Partisanengruppe innerhalb der FTP-MOI (Francs-tireurs et partisans – main d’œuvre immigrée), die nach ihrem armenischen Leiter Missak Manouchian benannt war. In ihrer Gruppe waren etwa 100 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Als »Technikverantwortliche« kümmerte sie sich um Verstecke für sowie den Transport und die Verteilung von Waffen und Munition. Unter dem Decknamen »Pierrette« stellte sie auch Bomben her, die sie neben Dynamit im Kinderwagen, unter der Matratze oder in der Einkaufstasche versteckte. Später trug Bancic die Verantwortung für ein Waffendepot, für das sie ab Juni 1943 ein Zimmer gemietet hatte.

Aus Sicherheitsgründen »trennte« sie sich 1941 von Mann und Tochter. »Pierrette« kämpfte in der Geheimarmee der Manouchian-Gruppe. Dabei beteiligte sie sich an Hunderten von Angriffen und Sabotageakten gegen die deutsche Wehrmacht. Allein in der ersten Hälfte 1943 gab es 93 Attentate, ab Juli spektakuläre Aktionen wie den tödlichen Anschlag vom 28. September 1943 auf den SS-Offizier Julius Ritter, Beauftragter des Generalbevollmächtigten für den Zwangsarbeitsdienst STO. Daraufhin verschärften die Nazis die Bekämpfung des Widerstands. 50 Geiseln ließen sie auf dem Mont Valérien erschießen. Die Beschattung der FTP-MOI ab April 1943 wurde engmaschiger, in Zusammenarbeit zwischen deutscher Polizei und französischen Sonderbrigaden. Diese »Antiterrorismus«-Einheit des Geheimdienstes war 1940 gegründet worden, um die Kommunisten zu bekämpfen.

Mitte November 1943 verhaftete die französische Miliz die meisten Mitglieder der Manouchian-Gruppe, darunter Olga Bancic. Sie gab keine Informationen preis und verriet keine Namen, trotz schwerer Folter. Nach dem Prozess im Tribunal Groß-Paris wurden die Partisanen am 21. Februar 1944 von einem deutschen Kommando erschossen – mit Ausnahme von Bancic. Sie blieb im Gefängnis Fresnes, wurde weiter verhört und gefoltert.

Die »Sonderbrigaden« hatten in der von ihr gemieteten Wohnung Ende März 1944 das besagte Waffendepot mit Pistolen, Granaten, Dynamit und 60 Bomben entdeckt. Bancic wurde Anfang Mai nach Karlsruhe verschleppt, kurz darauf nach Stuttgart. Einen Tag vor ihrem Tod gelang es ihr, einen letzten Brief an ihre Tochter aus dem Fenster zu werfen, mit dem Adressaten »Rotes Kreuz«. Sie schrieb darin: »Weine nicht, mon amour … Ich sterbe mit ruhigem Gewissen und in der festen Überzeugung, dass Du morgen ein glücklicheres Leben und eine bessere Zukunft als Deine Mutter haben wirst.«

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