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Aus: Ausgabe vom 08.05.2024, Seite 5 / Inland
Hochschulpolitik

Unter sich im Spätzle-Länd

Petition gegen Studiengebühren für Ausländer in Baden-Württemberg
Von Ralf Wurzbacher
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Wissenschaftsministerin Petra Olschowski heißt willkommen

Baden-Württembergs Regenten sind sich für keine Peinlichkeit zu schade. Wer es ins Ländle schafft, den heißt das Wissenschaftsministerium neuerdings mit »Join The Nerd Länd« willkommen. Soll bedeuten: Verkopfte Technikfuzzis sind das beste Humankapital, weshalb pfiffige Campaigner »Bestes Studium. Bestes Leben. Beste Jobs« plakatieren. Der Haken: Nicht alle schaffen es über die Grenze, am wenigsten der IT-affine Inder, den einst Gerhard Schröder per »Greencard« nach Deutschland schleusen wollte. Das Bundesland im Südwesten hat nämlich ein Alleinstellungsmerkmal, das so gar nicht zum lustigen Spätzle-Image passen will. Seit 2017 müssen Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland jährlich 3.000 Euro hinblättern, wenn sie in Heidelberg, Tübingen oder Freiburg studieren wollen. Und wer das Geld nicht hat, muss eben draußen bleiben.

Gegen die Praxis machen seit Wochenanfang landes- und bundesweit tätige Studierendenverbände mit einer Unterschriftenaktion im Internet unter openpetition.de mobil. Die Verantwortlichen im Landtag und in der Regierung werden »nachdrücklich« aufgefordert, »die vollständige Abschaffung der Gebühren sofort voranzutreiben und zu beschließen und den Hochschulen entsprechende Kompensationszahlungen zur Verfügung zu stellen«. Zwar hatte die Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen und CDU diesen Schritt in der Vergangenheit wiederholt erwogen, nur zum Vollzug reichte es bis heute nicht. Vielmehr gab man sogar den Verhinderer: Als vor elf Monaten die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf zur sofortigen Aussetzung der Regelung vorlegte, stimmte die Regierungsmehrheit den Antrag nieder. Solange nicht geklärt sei, wie die Einnahmeausfälle von rund 30 Millionen Euro kompensiert würden, könne in der Angelegenheit nicht entschieden werden, ließ damals Ressortchefin Petra Olschowski (Grüne) ausrichten.

Seither ist viel Wasser den Neckar hinuntergeflossen und manches passiert, was der Ministerin hätte auf die Sprünge helfen können. Zum Beispiel hat ein von ihr selbst eingesetzter Monitoringbeirat per Abschlussbericht die Empfehlung ausgesprochen, die »Reform« wieder zu kassieren. Dabei wurde insbesondere auf die »signifikante Zäsur« bei der Entwicklung der Studierendenzahlen verwiesen. Während nach dem bundesweiten Einbruch zu Pandemiezeiten allerorten wieder ein starker Zulauf von jungem Menschen aus der Fremde zu verzeichnen ist, hält die Flaute in Baden-Württemberg bis heute an. Kostprobe: Gab es 2017 noch knapp 3.800 Hochschüler aus Afrika, waren es im Wintersemester 2020/21 nur mehr rund 2.500. Und während Baden-Württemberg seinerzeit nach Bayern die zweitmeisten Internationalen beheimatete, ist es mittlerweile auf Rang drei hinter Berlin zurückgefallen.

Vor allem ist das Kalkül von »Grün-Schwarz« nicht aufgegangen, andere Bundesländer zur Nachahmung zu bewegen. Selbst das damals noch CDU-FDP-geführte Nordrhein-Westfalen verwarf 2019 nach zweijähriger Prüfung diesbezügliche Planspiele – auch wegen der schlechten Erfahrungen in Ba-Wü. »Hoffnung« machen allenfalls die bayerischen Nachbarn, wo die Hochschulen Zugereiste aus Drittstaaten mittlerweile optional zur Kasse bitten dürfen. Studiengebühren »diskriminieren und schrecken ab« und führten zu einer »Einschränkung des kulturellen Reichtums und der Vielfalt an den Bildungseinrichtungen«, heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung zur Petition. Ministerin Olschowski mag’s ohnehin lieber weltverschlossen. Der Wortlaut ihrer Nerdkampagne: »Wir laden junge Talente aus ganz Deutschland ein, an unseren herausragenden Hochschulen ein MINT-Studium zu beginnen.«

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  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (9. Mai 2024 um 19:43 Uhr)
    Welche Möglichkeiten hat ein Baden-Württembergisches Landei auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahler die Welt kennenzulernen. Mexiko, Vietnam (für manchen Kinderfreund stehen auch Thailand-Destinationen) auf der Wunschliste dienstlich bedingter Fernreisen. Natürlich (An)Werbung ist teuer und Serviceagenturen sind noch teurer. Sozialversicherungskassen, Arbeitslosenversicherung, Renten- und Krankenkasse finanzieren alles mit stoischer Ruhe. Ahnungslos? Schließlich sitzen in den Dienst-, Beratungs- und Serviceagenturen Berater, Angestellte und Beamte, die hoffen, selbst demnächst zu profitieren. Ich meine, sie würden auf eigene Kosten nicht einmal ins Nachbardorf fahren. Die ganzen Vergünstigungen teilen sich in der Folge Sozialkassen, Steuerzahler und Unternehmen. Bahnfahrten (für Beamte auf Dienstreisen nur 1. Klasse mit freiem Nebenplatz). Flüge und Auslandsspesen wollen bezahlt sein. Dazu zertifizierte Sprach- und Fortbildungskurse, die von Bewerbern umfänglich honoriert werden. Dass Studenten in Deutschland das gesamte Kostenkonvolut aus Studentenschaftsbeitrag, Krankenkasse und Lebenshaltungskosten aus Eigenmitteln stemmen müssen und besonders der deutsche wissenschaftliche Buch-, Medien- und Elektronikhandel sowie die Umsatzsteuer profitiert. Wer fragt danach. Es wäre die kostengünstigste Art, Studenten, die in Deutschland studieren, im Anschluss zu beschäftigen. Vielleicht fragt mal ein kostenbewusster Politiker oder auch Journalist nach der volkswirtschaftlichen Gesamtbelastung pro Kopf. Ich möchte nicht versäumen auf die aktuelle Ausschreibung der Bundeszentrale für politische Bildungsarbeit zu verweisen, die für den »Lernort Landshut« in Friedrichshafen am Bodensee nach etwa 20 Millionen Vorlaufkosten (Dank an Sigmar Gabriel), 75.000 Euro für Game-Entwicklung, bei Marktreife nochmals 400.000 Euro und Mietkosten monatlich von 47.000 Euro aufwändät. Ja, Baden-Württemberg, ein Land, das hemmungslos verschwänden kann und von Volkswirtschäft keinen Schimmer hat.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (7. Mai 2024 um 22:43 Uhr)
    Ihr versteht (mal wieder) die Häuslesbauer nicht. Es ist allemal billiger, fertige AkademikerInnen per brain drain zu importieren als sie für 250 Euro im Monat im Ländle auszubilden. Die hiesig Ausgebildeten wissen nach dem Abschluss, was sie erwartet und hauen schnellstens wieder ab. jW. Bitte statistischs Material nachliefern.

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