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Aus: Ausgabe vom 27.05.2017, Seite 10 / Feuilleton
Wiener Lied

Leiwand!

Von Graf G. Scheyßn am Hääßl

In Deutschland kann man über den Tod nicht vernünftig sprechen; Freund Hein, den sie chronisch als Feind missverstehen, ängstigt sie so, dass sie immerzu Leben simulieren müssen und rund um die Uhr mit Gesundheitsgebetsteppichauslegeware hausieren gehen. Diese Verdrängungsanstrengung bedrückt und quält nicht nur sie selber, was einem ja herzlich egal sein könnte, sondern alle ihnen Ungleichen noch mehr, denn sie wird ausnahmslos jedem abverlangt; hält sich einer nicht an diese Hausmeister-Eierei, wird er als »suizidgefährdet« gleichermaßen verharmlost wie als psychisch gefährlich stigmatisiert.

In Österreich geht das leichter. Dort wissen nahezu alle, dass sie längst tot sind, und genau diese erfreuliche freie Morbidität ist es, was die Österreicher vom Safteln des Lebens nicht im mindesten abhält, sondern sie es als etwas betrachten und fühlen lässt, das ins Deutsche nicht adäquat übersetzt werden kann: leiwand!

Der Autor liest am Wochenende gemeinsam mit Wiglaf Droste in Wien; am Samstag ab 20 Uhr im Stadtsaal und am Sonntag ab 19 Uhr auf der Letzten Wiener Lesebühne im Ballhaus Vienna

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