Gegründet 1947 Sa. / So., 20. / 21. April 2024, Nr. 93
Die junge Welt wird von 2767 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 04.04.2017, Seite 3 / Schwerpunkt
Selahattin Demirtas

Hintergrund: Botschaft aus der Haft

Der Vorsitzende der prokurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas, schickte aus türkischer Haft eine Grußbotschaft an die Konferenz »Quo vadis, Deutschland-Türkei?« der Linksfraktion, jW dokumentiert Auszüge:

Die HDP hat seit ihrer Gründung immer die Bedeutung des Pluralismus in den Vordergrund gestellt, damit unterschiedliche Meinungen im Parlament und im öffentlichen Bereich auf einer demokratischen Grundlage ausgetauscht werden. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass die Dynamiken der Beziehungen mit Europa und dem Mittleren Osten in diesem Rahmen verlaufen. Wir haben intensiv darauf hingearbeitet, dass die Verfassung aus der Putschzeit durch eine demokratische Verfassung abgelöst wird.

Andererseits haben wir versucht, alles in unserer Macht Stehende zu tun, und tun dies allen widrigen Umständen zum Trotz weiterhin, um die Kurdenfrage, die die grundlegendste Frage in der Türkei bezüglich der Freiheiten darstellt, friedlich zu lösen. Nun wird im Bestreben der Regierungspartei und des Staatspräsidenten Erdogan, die Interessen der Partei über die Interessen des Landes zu stellen, eine neue Putschverfassung zur Abstimmung vorgelegt. So wie im Anschluss an die Parlamentswahl vom 7. Juni sehen wir uns auch vor dem anstehenden Referendums einer Regierungspolitik gegenüber, die die Spannungen weiter anheizt und die Bevölkerung polarisiert. Der Putschversuch vom 15. Juli wurde seitens des Staatspräsidenten Erdogan als ein »Geschenk Gottes« begriffen. Das Ziel, die Einflusssphäre auf den gesamten gesellschaftlichen und politischen Bereich auszuweiten, um die eigene Macht für immer zu festigen, mutierte zur vorrangigen Aufgabe auf der Agenda. Die Vorsitzenden der HDP und der DBP, die nichts mit dem Putschversuch zu tun hatten und diesen noch in der Putschnacht verurteilten, wurden zur Zielscheibe des Gegenputsches, der von der AKP eingeleitet wurde. Damit einhergehend, wurden neutrale und oppositionelle Medien aus dem Weg geräumt. Bis auf ein, zwei Tageszeitungen gibt es keine kritisch berichtenden Zeitungen mehr. Die Judikative geriet vollkommen unter die Kontrolle der Macht. Mehr als 5.000 Lehrende wurden aus den Hochschulen verbannt. In 82 von insgesamt 103 der von der Demokratischen Partei der Regionen DBP geführten Stadtverwaltungen, zu denen drei Großstadtverwaltungen zählen, mit hohen Stimmanteilen gewählte Kobürgermeister abgesetzt, festgenommen und durch der AKP treue Bürokraten ersetzt. Gegenwärtig sitzen insgesamt 90 gewählte Kobürgermeister im Gefängnis. Was wir erleben, ist nichts anderes als systematischer Staatsterrorismus. Milder lässt es sich nicht formulieren. (…)

Ähnliche:

  • »Nein«: Eine Anhängerin der HDP auf einer Versammlung gegen das ...
    01.04.2017

    Kurden im Hungerstreik

    HDP-Vorsitzender Demirtas schließt sich Protest gegen Haftbedingungen an. Einschüchterung gegen Oppositionelle vor Verfassungsreferendum
  • Diyarbakir im September 2016: Kurdische Politiker fordern ein En...
    30.03.2017

    Schauprozess in Diyarbakir

    Lange Haftstrafen gegen kurdische Politiker im KCK-Prozess. Forderung nach »demokaratischer Repubik« wird kriminalisiert
  • Newroz-Fest in Machmur im Norden des Irak (März 2017)
    30.03.2017

    Langer Atem

    Seit vierzig Jahren kämpft die PKK für Freiheit und Sozialismus in Kurdistan. Ein Besuch vor Ort

Regio:

Mehr aus: Schwerpunkt