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Ins Innerste vorgedrungen

Bedeutende Ökonomen vor Marx (Teil 2): Hochwohlgeboren Sir William Petty – Vater der politischen Ökonomie und Erfinder der Statistik

In dieses Jahr fällt der 400. Geburtstag William Pettys, der 300. Geburtstag Adam Smith’, der 250. Geburtstag Simonde de Sismondis und der 200. Todestag David Ricardos. In einer vierteiligen Serie erinnert Klaus Müller an die großen Ökonomen, auf die Karl Marx rekurrierte. (jW)

Er verkörperte den tatkräftigen, rücksichtslosen, universalen Bereicherungstrieb der englischen Nation im 17. Jahrhundert: William Petty – Geldraffer, Ränkeschmied und Prahlhans. Karl Marx nannte ihn einen »denkkühnen, aber frivolen Armeechirurgus, der ebenso geneigt war, unter Cromwells Ägide in Irland zu plündern, als von Karl II. den nötigen Baronetitel für den Plunder zu erkriechen«. Unersättliche Lebensgier sei sein hervorstechendster Charakterzug gewesen, schrieb der sowjetische Ideenhistoriker Andrej Anikin.

Gründe, an ihn zu erinnern? Nein, wohl aber seine ökonomischen Erkenntnisse, mit denen er weit über das Niveau seiner Zeitgenossen hinausragt. Sie haben Petty einen bleibenden Platz in der Geschichte des ökonomischen Denkens verschafft. Für Marx war er einer der genialsten und originellsten ökonomischen Forscher. Mit ihm beginne in England die klassische, wissenschaftliche bürgerlichen Ökonomie, die »den inneren Zusammenhang der bürgerlichen Produktionsweise erforscht im Gegensatz zur Vulgärökonomie, die sich nur innerhalb des scheinbaren Zusammenhangs herumtreibt«. Er selbst verstand sich als der Begründer einer neuen Methode der ökonomischen Analyse, die an die Stelle von wirklichkeitsfremden, scholastischen Spekulationen »Maß, Zahl und Gewicht« setzte: die »Politische Arithmetik«. Vor 400 Jahren, am 26. Mai 1623 wurde der große englische Ökonom Sir William Petty geboren.

Leben

Petty entstammt der Familie des einfachen Tuchwebers Anthony Petty aus dem südenglischen Städtchen Romsey, das zur Grafschaft Hampshire gehört. »Sein Lebenslauf«, schreibt Peter Thal, »weist ihn als echtes Kind seiner Zeit aus, in der sowohl die englische bürgerliche Revolution stattfindet als auch die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals um sich greift«. Die neue Produktionsweise kommt, wie wiederum Marx schreibt, »von Kopf bis Zeh, aus allen Poren blut- und schmutztriefend« zur Welt. Bauernlegen, Vertreibungen, Plünderungen der Kolonien und Piraterie waren zu Pettys Lebzeiten an der Tagesordnung.

Petty gilt als eine Art Wunderkind. In früher Jugend bricht er sich als Schiffsjunge auf Deck ein Bein, wird, wie es damals Sitte war, an der Küste ausgesetzt, in seinem Falle an der Normandie. Er wird Zögling einer Jesuitenschule in Frankreich, verbessert seine Kenntnisse in Latein, lernt Griechisch, Französisch, erwirbt Wissen in Arithmetik und Astronomie, wie sie für die Navigation wichtig sind. Im Jahre 1640 verdient sich Petty den Lebensunterhalt mit dem Zeichnen von Seekarten der britischen Marine. Als er 1643 die Marine verlässt, besitzt er sechzig Pfund Sterling, eine für jene Zeit beachtliche Summe. Er reist nach Holland und Frankreich, wo er an den Universitäten Leiden und Paris hauptsächlich Medizin studiert. In Amsterdam arbeitet er bei einem Juwelier und Optiker. In Paris wird er Sekretär des englischen Philosophen Thomas Hobbes, der dort in der Emigration lebt.

Mit 24 Jahren, sagt Anikin, steht Petty schon zehn Jahre auf eigenen Füßen. »Er ist gereift, besitzt ein universelles Wissen, große Energie. Lebensfreude und Charme.« Er setzt in Oxford sein Medizinstudium fort. Die Universität verleiht ihm im Jahre 1650 den Grad eines Doktors der Physik und später eine Professur für Anatomie. Schon kurz danach gibt er den Lehrstuhl auf und wird als Arzt beim Oberkommandierenden der englischen Armee in Irland angestellt, das nach einem zehnjährigen Krieg verwüstet war und wo Hunger und Seuchen grassierten. 1654 als Vermesser des der irischen Bevölkerung und der katholischen Kirche geraubten Landes eingesetzt, wird Petty zum Nutznießer der ursprünglichen Akkumulation in Englands erster Kolonie. Die Tätigkeit erweist sich für Petty, der damals Anfang dreißig war, als eine wahre Goldgrube. »Als einfacher Medikus war er nach Irland gekommen«, so Anikin, »und nach wenigen Jahren gehörte er zu den wohlhabendsten und einflussreichsten Männern im Lande«, besaß 30.000 Acres im Südwesten Irlands und 9.000 ­Livres, vermutlich, wie gemunkelt wurde, teilweise erworben durch zweifelhafte Transaktionen zu eigenen Gunsten.

Nach London zurückgekehrt, bemüht sich Petty um Einfluss auf die Regierung der Restaurationsperiode. Im Jahre 1661 wird der Sohn des Tuchmachers in den Ritterstand erhoben und darf sich von nun an Sir William Petty nennen. Mit seiner Frau, der schönen und energischen Witwe eines Gutsbesitzers, hat Petty fünf Kinder. Im Sommer 1687 leidet er an starken Beinschmerzen. Wundbrand stellt sich heraus. Im Dezember desselben Jahres stirbt er als steinreicher Mann und wird in seiner Geburtsstadt Romsey begraben.

Schriften und Werk

Petty machte zahlreiche technische Erfindungen und verfasste etliche wissenschaftliche Aufsätze und Broschüren, in denen er sich mit medizinischen, allgemein naturwissenschaftlichen und mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigte. Manch einer zählte ihn zu den größten Dichtern in lateinischer Sprache seiner Zeit. »Dass er in religiösen Fragen als zynisch galt und gleichzeitig eine Arbeit über ›Friede in der Religion‹ schrieb, wird ebenso wenig verwundern, wie dass manche seiner Schriften, (…) anonym herauskamen. Wie vielfältig seine schriftstellerische Tätigkeit allein schon innerhalb des engeren Rahmens der technisch-wirtschaftlichen Arbeiten war, lassen einige Titel erkennen: ›Apparatus zu einer Geschichte der Färberei‹, ›Über das Wachstum von London‹, ›Landkarten von Irland‹ (…) Er hinterließ mehr als fünfzig Kisten, gefüllt mit Manuskripten, von denen nur ein Teil veröffentlicht worden ist«, schreibt Jürgen Kuczynski. Seine wichtigsten Werke heißen: »A Treatise of taxes and contributions« (Eine Abhandlung über Steuern und Abgaben), London 1662, »Quantulumcunque or a tract of concerning money« (Allerlei oder ein Traktat über das Geld), London 1682, sowie »Political arithmetic«, London 1690.

Ort in der Theoriegeschichte

Die wissenschaftliche, klassische bürgerliche Ökonomie beginnt, so Karl Marx, mit William Petty in England und mit Pierre Le Pesant de Boisguillebert in Frankreich. In England schließt sie mit David Ricardo und in Frankreich mit Simonde de Sismondi ab. Für viele bürgerliche Dogmenhistoriker dagegen ist Petty kein Klassiker, der eindringt in die verborgenen Wesenszusammenhänge der Ökonomie. Sie halten ihn für einen Merkantilisten. Richtig ist, dass zu Pettys Zeiten in England der Merkantilismus in Theorie und Praxis in voller Blüte stand. Richtig auch, dass Petty merkantilistische Auffassungen vertreten hat. Das vom Merkantilismus verkündete Ziel aller wirtschaftlichen Tätigkeit war der Handelsprofit, der Überschuss des Exports über den Import. Ihre Protagonisten plädierten dafür, das Geld nicht einfach zu horten, sondern es in die Zirkulation zurückzubringen, um Mehr-Geld aus ihr zu erlösen. Merkantilistisch ist es, wenn Petty die Händler und Seeleute die produktivsten Arbeiter nennt, »weil das, was sie der Nation einbringen (bis hin zur Piraterie), viel größer als bei den Manufakturisten und Bauern ist, oder wenn er die Illusion des Monetarsystems teilt, dass Gold und Silber wertvollere Formen des Reichtums als andere Waren seien«, so Peter Thal. »Doch das Geniale der politischen Ökonomie Pettys besteht gerade darin, dass er sich zugleich von diesen Auffassungen löst« und über sie hinausgeht.

Marx zollte daher dem wissenschaftlichen Werk Pettys höchsten Respekt. Er nannte ihn den »Vater der politischen Ökonomie« und den »Erfinder der Statistik«. Er war fasziniert von Pettys Persönlichkeit, rühmte dessen »geniale Kühnheit«; »ein origineller Humor durchströmt alle seine Schriften«, »der Irrweg selbst ist genial«, »ein kleines Meisterwerk in Inhalt und Form« – Urteile in verschiedenen Werken von Marx über Petty. Marx entnimmt Pettys Werk wichtige Anregungen für die Entwicklung seiner Wert-, Mehrwert-, Lohn - und Geldtheorien. Anikin nennt Petty den »Kolumbus der politischen Ökonomie«, der sich selbst die Erfindung der politischen Arithmetik – der Statistik – als größte Leistung zuschrieb, aber mit »gewissermaßen nebenher geäußerten Gedanken über Wert, Grundrente, Arbeitslohn, Arbeitsteilung und Geld (…) Grundlagen der wissenschaftlichen Ökonomie geschaffen« habe. »Sie sind das eigentliche ›ökonomische Amerika‹, das der neue Kolumbus entdeckt hat.« Marx bemerkt, »dass die theoretischen Lichtfunken« Pettys »nicht in Reih und Glied als fertige ›Axiome‹ einherstolzieren, vielmehr zerstreut aus der Vertiefung ›rohen‹ praktischen Materials (…) hervorspringen«.

Der bürgerliche Ökonom Joseph A. Schumpeter dagegen bringt es wider alle offenkundigen Tatsachen fertig zu behaupten, dass sich bei Petty keine Arbeitswerttheorie, ja überhaupt kein Wertbegriff, keine irgendwie bemerkenswerte Lohntheorie und auch kein Hinweis auf den Mehrwertbegriff finde. Seinen Ruf verdanke er Marx, der ihn zum Begründer der ökonomischen Wissenschaft erklärt habe, sowie der Begeisterung einiger Wissenschaftler, die nicht vorausgesehen hätten, auf wessen Mühle sie ihr Wasser gossen. Man fragt sich, wie Schumpeter, ein berühmter Ökonom, dermaßen irren kann.

Arbeitswert und Lohn

Die Fakten sind eindeutig: Petty bestimmt den Wert der Ware Korn durch die Arbeitszeit: »Wenn jemand eine Unze Silber aus dem Innern der Erde Perus in derselben Zeit nach London bringen kann, die er zur Produktion eines Bushel Korn brauchen würde, dann ist das eine der natürliche Preis des anderen; wenn er nun durch Abbau neuer und ergiebiger Bergwerke statt der einen zwei Unzen Silber mit dem gleichen Aufwand gewinnen kann, wird das Korn bei einem Preis von 10 Shilling pro Bushel ebenso billig sein wie vorher bei einem Preis von 5 Shilling, caeteris paribus.« Mit dieser Aussage begründet Petty die klassische bürgerliche Arbeitswertlehre. »Es ist also in der Tat bei Petty«, sagt Marx, »der Wert des Korns durch die in ihm enthaltne Arbeitszeit bestimmt«.

Petty sagt, die Größe des Arbeitslohns werde bestimmt durch den Wert der Lebensmittel, die der Arbeiter im Durchschnitt braucht, »um zu leben, zu arbeiten und sich fortzupflanzen«. Rücksichtslos ergreift Petty Partei für die Bourgeoisie: Das Gesetz solle »dem Arbeiter gerade das noch zum Leben Notwendige zugestehen; denn wenn man ihm das Doppelte zugesteht, dann arbeitet er nur halb so viel, wie er hätte tun können und andernfalls getan hätte; das bedeutet für die Gesellschaft einen Verlust des Ergebnisses von soviel Arbeit«. Oder: »Die tägliche Nahrung eines erwachsenen Mannes, im Durchschnitt genommen, und nicht die Tagesarbeit, ist das allgemeine Maß des Wertes und scheint ebenso regelmäßig und konstant zu sein, wie der Wert von reinem Silber (…) Daher bestimme ich den Wert einer irischen Hütte nach der Zahl der täglichen Lebensmittelrationen, die der Hersteller bei ihrem Bau ausgab.«

Marx kritisiert an der prinzipiell richtigen Lohnauffassung Pettys den Gebrauch des Begriffs »Wert der Arbeit«. »Alles in allem ist es klar, dass wenn man den Wert einer Ware, sage von Arbeit, Korn oder jeder andern Ware, zum allgemeinen Maß und Regulator des Werts macht, man die Schwierigkeit bloß von sich abschiebt, da man einen Wert durch einen andern bestimmt, der seinerseits wieder der Bestimmung bedarf.« Nicht nur Petty, auch Ricardo, der »letzte Ausläufer der klassischen Ökonomie«, ging an der Unlösbarkeit dieses Widerspruchs zugrunde. Friedrich Engels schreibt im Vorwort zu Band II des »Kapitals«: »Es ist nicht die Arbeit, die einen Wert hat. Als wertschaffende Tätigkeit kann sie ebensowenig einen besondren Wert haben, wie die Schwere ein besondres Gewicht, die Wärme eine besondre Temperatur, die Elektrizität eine besondre Stromstärke. Es ist nicht die Arbeit, die als Ware gekauft und verkauft wird, sondern die Arbeitskraft.« Und der Wert der Arbeitskraft entspricht auch nicht dem Existenzminimum, auf das Petty die Bezahlung beschränken wollte. Er schließt historische, moralische, kulturell-soziale Elemente ein, so dass der Wert der Arbeitskraft über das zum Leben gerade Notwendige hinausgeht.

Mehrwert und Grundrente

Petty bestimmt den Wert der Waren also durch die Arbeitszeit und den Lohn durch den Wert der für die Arbeiter notwendigen Lebensmittel. Zieht man vom Wert des durch den Arbeiter geschaffenen Produkts, dem Wertprodukt, den Wert ab, den er für seine Arbeit bezahlt bekommt, ergibt sich ein Rest, der Mehrwert. »Da Petty zuerst den Wert und dann den Lohn, beide direkt bestimmt, erfolgt die Bestimmung des Mehrwerts bei Petty indirekt, ergibt sich seine Mehrwerttheorie als Konsequenz aus seiner Wert- und Lohntheorie«, schreibt Günter Fabiunke. Petty erklärt den Mehrwert mit der Grundrente: »Nehmen wir an, ein Mann bebaute mit eigener Hand eine bestimmte Fläche mit Korn, das heißt, er gräbt oder pflügt es um, eggt, rodet, erntet, fährt das Korn ein, drischt es, worfelt es, wie es der Ackerbau des Landes erfordert, und er hat überdies Saatgut, um es zu besäen. Ich behaupte: wenn dieser Mann von seiner Ernte sein Saatgut abgezogen hat (…) sowie alles das, was er selbst verzehrt und im Austausch für Kleidung und sonstige natürliche Bedürfnisse an andere gegeben hat, dass das, was an Korn übrigbleibt, die natürliche und wirkliche Bodenrente für dieses Jahr ist; und der Durchschnitt von sieben Jahren oder vielmehr die Zahl von Jahren, in denen Missernten und gute Ernten ihren Kreislauf durchmachen, gibt die gewöhnliche Bodenrente in Korn.«

Das Bedeutende dieser Aussage besteht nach Marx darin, dass die Rente als Resultat der Arbeit erklärt wird und nicht, wie die Physiokraten annahmen, ein Geschenk der Natur bzw. des Bodens sei. Oder wie die Merkantilisten, die den Überschuss aus geschicktem (und betrügerischem) Handel entspringen lassen. Eine herausragende Erkenntnis, die physiokratische und merkantilistische Irrungen überwindet: Die Quelle der Grundrente ist das durch die Mehrarbeit des Arbeiters geschaffene Mehrprodukt. Da sich bei Petty aber die gesamte Mehrarbeit in Grundrente verwandelt, schließt die Grundrente auch den Profit ein, wird damit falsch mit dem gesamten Mehrwert gleichgesetzt.

Fußend auf der »richtigen Grundeinsicht«, dass das Wesen der Grundrente Mehrwert bzw. überschüssige Arbeitszeit, darstellt, »entwickelte Petty erstmalig in der Geschichte der politischen Ökonomie eine Lehre der Differentialrente, deren wissenschaftliche Reife selbst auf dem Höhepunkt der klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie von Adam Smith nicht mehr erreicht werden konnte«, schreibt Günter Fabiunke. Petty erkannte die unterschiedliche Entfernung des Bodens vom Markt sowie die unterschiedliche Fruchtbarkeit der Böden und daher die unterschiedliche Produktivität der Arbeit auf Ländereien als die Ursachen für die Existenz der Differentialrente. Sie ist ihrem Wesen nach ein Extramehrwert. Er entsteht, weil Produzenten, die näher am Markt produzieren, geringere Transportkosten aufwenden müssen als der am weitesten von ihm entfernte, dessen Produkte aber benötigt werden, um die Nachfrage zu decken. Er entsteht auch, weil die Produzenten auf den fruchtbareren Böden die Produkte mit höherer Produktivität und geringeren Aufwendungen herstellen als der Produzent mit den höchsten Aufwendungen, die der Käufer im Preis akzeptiert.

Bodenpreis und Zins

Auf originelle Weise bestimmt Petty den Preis des Bodens. »Nachdem wir die Rente gefunden haben«, sagt er, »ist die Frage die, wie viele Jahresrenten (…) bilden den natürlichen Wert des frei verkäuflichen Bodens?« Petty vermutet, »die Summe von Jahresrenten, die den natürlichen Wert eines Grundstücks bildet«, sei »gleich der Zahl von Jahren, die ein Mensch von fünfzig Jahren, einer von achtundzwanzig und ein anderer von sieben Jahren (…) Aussicht haben zu leben, das heißt Großvater, Vater und Kind (…) Nun schätzen wir in England drei Leben auf einundzwanzig Jahre, und folglich sei der Wert des Landes ungefähr gleich derselben Summe von Jahresrenten.«

Für Marx ist das Bedeutende der Pettyschen Bestimmung von Bodenpreis und Grundrente, »dass erstens die Rente, als Ausdruck des gesamten agricultural surplus value, nicht aus dem Boden, sondern aus der Arbeit abgeleitet ist, das Surplus der Arbeit über das zum Lebensunterhalt des Arbeiters hinaus Nötige; dass zweitens der Wert des Landes nichts ist als für eine bestimmte Zahl von Jahren voraus gekaufte Rente, eine verwandelte Form der Rente selbst, in der z. B. 21 Jahre surplus value (oder Arbeit) als Wert des Landes erscheint; kurz, der Wert des Landes nichts als kapitalisierte Rente. So tief dringt Petty in die Sache ein«.

Eine großartige wissenschaftliche Einsicht: Der Bodenpreis ist nichts anderes als die zum jährlichen Zinsfuß kapitalisierte Rente. Kapitalisieren heißt, sich den Betrag vorzustellen (zu ermitteln), der zu einem gegebenen Zins ein bestimmtes Jahreseinkommen abwirft. Beispiel: Der Boden werfe eine jährliche Grundrente von 1.000 Pfund Sterling ab. Der Zinssatz betrage fünf Prozent. Wie viel Geldkapital muss man anlegen, um zum herrschenden Zinssatz ein Jahreseinkommen von 1.000 Pfund zu erhalten? Die Antwort: Man muss einen Betrag von 20.000 Pfund anlegen. Und wenn man ein Grundstück kaufen will, ist dieser Betrag dessen Preis. Er darf nicht höher sein, denn sonst würde der Geldbesitzer die Zinsanlage vorziehen. Pettys richtige Erklärung besitzt einen Haken: Vom Standpunkt des Käufers der Rente bzw. des Landes erscheint die Rente jetzt als Zins des in Grundstücken angelegten Kapitals. In dieser Form »ist die Rente völlig unkenntlich geworden und erscheint als Kapitalzins«.

Petty sagt, »was den Zins anbelangt, so muss er mindestens so viel betragen wie die Rente von so viel Land, wie das geliehene Geld zu kaufen vermag, wo die Sicherheit außer Zweifel steht«. Marx wendet ein, hier erscheine »der Zins bestimmt durch den Preis der Rente, während umgekehrt der Preis der Rente oder der Kaufwert des Landes durch den Zins bestimmt ist«. Doch dies sei »sehr konsequent, da die Rente als die allgemeine Form des surplus value dargestellt ist, der Zins des Geldes also als sekundäre Form daraus abgeleitet werden muss«. Qualitativ ordnet Petty den Zins unter, leitet er ihn aus der Rente ab und fasst ihn damit richtig als eine sekundäre Form des Mehrwerts. Quantitativ setzt Petty Zins und Rente gleich. Tatsächlich müsse aber der Zins aus dem Durchschnittsprofit abgeleitet werden. Er entspringt der Aufspaltung des Durchschnittsprofits in Zins und Untergewinn.

Geld

Es bedürfe eines bestimmten Maßes des Geldes, um den Handel einer Nation in Gang zu halten, sagt Petty. »Geld ist nur das Fett des Staatskörpers, weshalb zu viel davon ebenso seine Beweglichkeit behindert, wie zu wenig krank macht (…) wie Fett die Bewegung der Muskeln geschmeidig macht, fehlende Nahrungsmittel ersetzt, Unebenheiten ausfüllt und den Körper verschönt, so erleichtert das Geld die Bewegung des Staates, bringt, wenn Teuerung im Inlande, vom Auslande Lebensmittel herein, begleicht Schuldenrechnungen (…) und verschönt das Ganze; allerdings«, ironisch schließend, »ganz besonders die einzelnen Personen, die viel davon haben.« Petty erklärt, wie viel Geld die Zirkulation benötigt, damit alle zum Verkauf angebotenen und nachgefragten Waren einer Periode bezahlt werden können. So ist das Verhältnis des für unseren Handel notwendigen Geldes (Gold- und Silbermünzen) bestimmt durch die Häufigkeit der Tauschvorgänge und die Höhe der Zahlungen.

Marx wird Pettys Auffassung übernehmen, dass die Quantität des als Zirkulationsmittel fungierenden Geldes durch die Preissumme der in den Austausch gelangenden Waren und die Häufigkeit bestimmt ist, mit der gleichnamige Geldstücke für Zahlungen verwendet werden. Petty habe »mit seiner gewohnten Meisterschaft« erkannt, dass man 40 Millionen im Jahr auch mit sechs Millionen und weniger umsetzen könne, wenn die Umläufe des Geldes kürzer sind, die Zahl der Umläufe folglich höher ist.

Das Geniale Pettys besteht bei allen Unzulänglichkeiten seiner politischen Ökonomie darin, dass er einen großen Beitrag dazu leistet, die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus aus dessen Produktionsverhältnissen abzuleiten und dabei ehrlich Partei ergreift für die aufsteigende Klasse des Bürgertums. Andrej Anikin schreibt: »Lenin hat über Lew Tolstoi gesagt, dass es vor diesem Grafen keinen echten Bauern in der Literatur gegeben habe. Auf Petty bezogen, können wir sagen, dass es vor diesem Landlord in der politischen Ökonomie keinen echten Bourgeois gegeben hat.« Von Sir William Petty gehen viele Denker der folgenden hundert Jahre aus, so John Locke (1632–1704), Sir Dudley North (1641–1691), Joseph Massie (gest. 1784), David Hume (1711–1776), James Steuart (1712–1780) und andere, die die wissenschaftshistorische Brücke zu Adam Smith schlagen.

Literatur

– Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 13, Berlin 1961

– Karl Marx: Das Kapital, Erster Band, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 23, Berlin 1972

– Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 24, Berlin 1972

– Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 26.1, Berlin 1973

– Jürgen Kuczynski: Zur politökonomischen Ideologie in England und andere Studien, in: ders.: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Band 26, Berlin 1965

– Andrej A. Anikin: Ökonomen aus drei Jahrhunderten, Berlin 1974

– Fritz Behrens: Grundriss der Geschichte der politischen Ökonomie, Band I, 2., berichtigte und ergänzte Aufl., Berlin 1981

– Günter Fabiunke: Geschichte der bürgerlichen politischen Ökonomie, Berlin 1975

– Peter Thal: Petty, William, in: Werner Krause, Karl-Heinz Graupner, Rolf Sieber: Ökonomenlexikon, Berlin 1989, S. 425–428

– Joseph A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse, Göttingen 1965

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