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Betr.: Artikel »Dieses Gesetz ist ein Ausgrenzungsgesetz«

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»Dieses Gesetz ist ein Ausgrenzungsgesetz«

30 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz. Aktionswoche soll aufklären. Ein Gespräch mit Walter Schlecht

Sie organisieren gegenwärtig eine Aktionswoche aus Anlass des 30. Jahrestages des sogenannten Asylbewerberleistungsgesetzes. Was ist der Hintergrund dieses Gesetzes?

Man muss bis ins Jahr 1980 zurückgehen, als Baden-Württemberg erstmals Sammellager eingerichtet hat, in denen es abgesenkte Leistungen gab. Dort wurden Geflüchtete untergebracht, die aus der damaligen Sozialhilfe ausgegrenzt wurden. Sie unterlagen darüber hinaus einem Arbeitsverbot und einer Vollverpflegung. In den Folgejahren hat man diese Ausgrenzung sozialpolitisch ausgebaut. Die Erfahrungen daraus sind dann 1993 in das Asylbewerberleistungsgesetz eingeflossen.

Was kritisieren Sie an diesem Gesetz?

Im Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 das Sachleistungsprinzip eingeführt. Es wurden einmal die Leistungen für Geflüchtete um 20 bis 25 Prozent gesenkt und Sachleistungen gewährt. Ab 1993 wurden zwei Menschenwürden definiert, indem man Geflüchtete aus der damaligen Sozialhilfe ausschloss und in ein eigenes Gesetz steckte. Diese Sachleistungsversorgung hat für den Staat Mehrkosten in Höhe von jährlich 500 Millionen ­D-Mark bedeutet. 1996/97 kamen noch mal 250 Millionen jährlich dazu.

Das war also im Vergleich zu vorher äußerst ineffizient.

Absolut. Es war klar, dass es für den Staat deutlich günstiger wäre, wenn man den Menschen das Arbeiten nicht verbietet. 1994 stellte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim fest, dass dieses Gesetz nur in Sammelunterkünften Anwendung finden kann, in denen der Staat umfassend die Betreuung übernimmt. Damals klagte ein Geflüchteter, der außerhalb der Sammellager war. Das Gesetz musste also in Zusammenhang mit Sammellagern gedacht werden. Als Konsequenz definierte man Einrichtungen in Sammellager um.

Wie sieht die Lage Geflüchteter in bezug auf das Gesetz gegenwärtig aus?

Was die medizinische Versorgung anbetrifft, sehen wir weiterhin eine Einschränkung. Es werden nur akute Erkrankungen und Schmerzzustände behandelt. Darüber hinaus entscheidet das Sozialamt, ob jemand, der krank ist, einen Behandlungsschein für den Arzt bekommt. Außerdem gibt es mittlerweile Landeserstaufnahmeeinrichtungen, in denen das Asylbewerberleistungsgesetz volle Anwendung findet. Da werden Menschen durch Cateringfirmen zu festen Zeiten direkt versorgt, was zum Teil zu einer Unterversorgung führt, wie bereits mehrfach nachgewiesen wurde. Es ist also keine selbstbestimmte Ernährung möglich. Diese Versorgung ist zum Teil auch deutlich teurer als eine Selbstversorgung Geflüchteter.

Wie sieht es auf politischer Ebene aus?

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, CDU, bringt gegenwärtig wieder irrsinnige Vorschläge zur Einführung von Sachleistungen in die Diskussion, die konträr zu den Entscheidungen des Verfassungsgerichts stehen. Nach der Grundrechtsänderung 1993 hat es für die betroffenen Menschen 19 Jahre lang keine Leistungserhöhungen gegeben. 2012 verhandelte das Bundesverfassungsgericht eine Klage und argumentierte mit einer migrationspolitisch nicht vertretbaren Ungleichbehandlung von Geflüchteten in den Lagern. Für jeden gelte ein gleiches Existenzminimum zum Überleben. Seither gab es einige Verbesserungen. Im Herbst 2022 gab es eine erneute Gerichtsentscheidung. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass man im Lichte der Entscheidungen des Verfassungsgerichts das Asylbewerberleistungsgesetz verbessern wolle. Wir sagen allerdings klar, das Gesetz muss ganz weg. Es ist ein Ausgrenzungsgesetz. Es ist kein reines Sozial-, sondern ein verstecktes Migrationsgesetz mit über 20 Sanktionstatbeständen, um Leistungen unter das allgemein gewährte Existenzminium zu kürzen.

Was fand in der Aktionswoche bisher alles statt?

Es schließen sich gegenwärtig weitere Organisationen und Unterstützer an. Es gibt Bildungsveranstaltungen mit Anwälten, da viele dieses komplizierte Gesetz nicht oder nur unzureichend kennen. In verschiedenen Städten gibt es Demonstrationen. Das wird aber nicht das Ende sein. Wir haben auch nicht nur Geflüchtete im Blick, sondern auch wohnungslose, prekär lebende Menschen.

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