09.08.2017 / Kapital & Arbeit / Seite 1 (Beilage)

Griff nach den Ressourcen

Konzerne der EU-Staaten sichern sich Zugang zu Ackerflächen weltweit. Spielraum für Kleinbauern verringert sich

Jana Frielinghaus

Die Zeit der Kolonialreiche ist formal vorbei. Und doch erinnert nicht nur der Gestus, mit dem westliche Politiker und Wirtschaftsbosse, nicht zuletzt deutsche, gegenüber ihren afrikanischen oder asiatischen Kollegen auftreten, an diese unselige Epoche. Da wird zwar viel von »Partnerschaften« auf »Augenhöhe« geredet. Doch die Bedingungen stellen Agrar- und andere Konzerne aus der EU und den USA, so beim »Marshallplan mit Afrika«, für den die Bundesregierung während des G-20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg warb. Und die Unternehmen haben genau wie die Regierungen der Europäischen Union handfeste Interessen, deren Durchsetzung letztlich das Ziel sogenannter Entwicklungspartnerschaften ist. Insofern ist es logisch, dass Expertinnen und Wissenschaftler aus afrikanischen Ländern bei der Erarbeitung des »Marshallplans« nicht konsultiert wurden.

Wie und in welchem Umfang EU-Agrarkonzerne und -Staaten sich beispielsweise die Kontrolle über Agrarflächen in Afrika sichern, ist in einer Studie dargelegt, die im Auftrag des Europaparlaments erstellt und im Mai veröffentlicht wurde. Danach steht Deutschland an sechster Stelle, was den Einfluss hiesiger Unternehmen auf Ländereien außerhalb von Europa betrifft. Insgesamt kontrollieren BRD-Unternehmen demnach »nur« knapp 310.000 Hektar in Nicht-EU-Staaten. Mit Abstand die größten »Landgrabber« sind der Untersuchung zufolge britische Konzerne. Sie verfügen außerhalb der EU über fast zwei Millionen Hektar. Die Nutzung der Ländereien durch europäische Firmen geht fast immer mit Vertreibungen einher. Familien, die sich bislang selbst ernähren konnten, werden ihrer Existenz beraubt und fristen vielfach ein elendes Dasein als unterbezahlte Tagelöhner.

Vertreter der Industriestaaten zeigten lange mit dem Finger auf China, wenn es um das Thema Landgrabbing ging. Inzwischen setzt die Volksrepublik auf andere Strategien, um die Ernährung ihrer fast 1,4 Milliarden Bürger zu sichern. Uwe Hoering schildert das Vorgehen der chinesischen Politik und der staatlichen Agrarhandels- und -industriefirmen auf Seite 2 dieser Beilage. Weit gravierendere Probleme als China bei der Sicherung der Grundversorgung seiner Bevölkerung mit Lebensmitteln hat Indien. Dort allerdings scheint die Zentralregierung die Probleme der Bauern, die nicht zuletzt aus dem im Zuge des Klimawandels massiv zunehmenden Wassermangel resultieren, bislang kaum wahrzunehmen. Thomas Berger berichtet auf Seite 4 über die Lage der mehr als 700 Millionen Menschen auf dem Subkontinent, die von der Landwirtschaft leben.

Wie die EU-Agrarpolitik zu einer Lebensmittelproduktion entsprechend dem Bedarf der Bevölkerung der Mitgliedsstaaten beitragen könnte, legen Reinhild Benning und Tobias Reichert von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch dar (Seite 6). Nötig, so ihre Argumentation, sei eine Abkehr von der Exportorientierung der EU und der damit verbundenen Förderung der Überproduktion. Unter ihr leiden nicht nur Kleinbauern in Ländern des globalen Südens, die so von ihren Heimatmärkten verdrängt werden. Auch die Landwirte in der EU sind dadurch einem brutalen Preisdruck ausgesetzt, dem sie in der Regel nur mit weiterer Effizienz- und Produktionsmengensteigerung begegnen können.

Allerdings ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die vorgeschlagenen Reformen gegen die mächtige Konzernlobby durchsetzbar sind. Die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für eine menschen-, tier- und umweltgerechte Landwirtschaft. Bis dahin muss es wohl bei den kleinen, aber feinen alternativen Projekten bleiben – zumindest solange es keine große Stadtfluchtbewegung gibt. Denn für Ökoland- und -gartenbau werden viele Hände gebraucht.

Zusammenfassung der im Mai veröffentlichten Studie »Landgrabbing und Menschen­rechte: Die Rolle von EU-Akteuren im Ausland« online: bit.ly/2sT4YBQ

Deutschlandfunk-Debatte zum Marshallplan für Afrika mit aus afrikanischen Ländern stammenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am 28. Juni 2017: kurzlink.de/dlf_g20afrika

https://www.jungewelt.de/beilage/art/315467