19.05.2007 / Schwerpunkt / Seite 3

Europaweit mobil? Nicht mit Bologna!

Die anfängliche Begeisterung der Hochschullinken für den Bologna-Prozeß bezog sich zu einem maßgeblichen Teil auf die in Aussicht gestellte europaweite Mobilität. Die nahe Zukunft stellten sich die Protagonisten wie folgt vor: Jeder Studierende in Europa werde zu jedem Zeitpunkt seines Studiums die Möglichkeit haben, ins Ausland zu wechseln, sei es für ein oder mehrere Semester oder um dort seinen Abschluß zu machen. Ermöglicht werde dies durch die harmonisierten Studienstrukturen, also vereinheitliche Leistungsstandards und -bewertungen sowie Studienabschlüsse.

Eine schöne Vorstellung, die Realität sieht indes ganz anders aus: Nach einer aktuellen Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) hatten im Januar von 5000 befragten Studierenden 23 Prozent Auslandserfahrung. Davon waren allerdings lediglich rund 50 Prozent in der Fremde immatrikuliert, die andere Hälfte hatte ein Praktikum, einen Sprachkurs oder eine Exkursion absolviert. Damit haben sich nicht einmal die bescheidenen Wünsche von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) erfüllt, wonach mindestens 20 Prozent der einheimischen Hochschüler eine Weile an einer ausländischen Hochschule studieren. Auf lange Sicht erhofft sich ihr Ministerium sogar eine Quote von 50 Prozent.

Was die Sache für Deutschland noch peinlicher macht: Ausgerechnet die Europa-kompatiblen Studiengänge nötigen die Betroffenen zur Seßhaftigkeit. Der hierzulande auf sechs Semester begrenzte Bachelor läßt einen Abstecher ins Ausland wegen der geballten Leistungsanforderungen so gut wie nicht zu. Nach der HIS-Studie hatten von den befragten BA-Studierenden an Universitäten 15 Prozent Auslandserfahrungen, von denen an Fachhochschulen sogar nur neun Prozent. Dazu haben diejenigen mit Auslandsaufenthalt in den meisten Fällen ihre Regelstudienzeit überschritten.

(rwu)
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