27.07.2006 / Feuilleton / Seite 12

Keine Religion

Der englische Schriftsteller Ian McEwan träumt von einer Welt ohne Religionen. Er versuche oft, sich eine Welt vorzustellen, »die intellektuell reich und emotional befriedigend ist – und die ohne jede Religion auskommt«, sagt McEwan der Zeit. Die Religion stehe »im Zentrum der großen Konflikte unserer Zeit. Sie verleitet Menschen dazu, grausame Dinge zu tun. Immer wieder – kidnappt Religion die Moral.« Die Annahme, es gäbe »ein besseres Leben als dieses«, erweise sich immer wieder als »destruktiv«. Wer »auf ein besseres Leben nach dem jetzigen hofft, verliert seine Hingabe an die eigene Existenz«. Die Partei, die seiner Haltung gerecht werden könnte, würde »Partei des demokratischen Skeptizismus« heißen. Skeptiker seien insgesamt eine friedliche Gruppe: »Nie sieht man eine Gruppe von Skeptikern die Straße hinablaufen und Autos anzünden. Sie töten nicht für ihre Überzeugungen, sie nehmen keine Geiseln.« McEwan schließt einen grundsätzlichen Sinneswandel nicht aus: »Würde sich jetzt allerdings plötzlich der Himmel über mir öffnen und eine gigantische Figur die Wolken teilen und sich gütig an uns wenden – dann wäre ich natürlich sofort bereit, meine Überzeugungen den Tatsachen anzugleichen.« (ots/jW)
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