27.04.2024 / Titel / Seite 1

Maulkorb für Studis

Protestwelle an US-Unis für Ende des Gazakriegs wird immer größer und erreicht Europa. Obrigkeit reagiert mit Repression

Alex Favalli

Derartig große Proteste an US-Universitäten hat es seit dem Vietnamkrieg nicht mehr gegeben: An zahlreichen Hochschulen im ganzen Land demonstrieren seit Tagen Massen von Studierenden für ein Ende des Gazakriegs. In der Westküstenmetropole Los Angeles mussten die Behörden deshalb eine Großveranstaltung bei der traditionellen Abschlussfeier der University of Southern California absagen, wie am Freitag bekannt wurde. Auf dem Gelände der Uni waren am Mittwoch abend 93 Demonstrierende von der Polizei festgenommen worden. Wenige Stunden zuvor hatten sich ähnliche Szenen im texanischen Austin abgespielt. Schwer bewaffnete Polizisten hätten auf Anweisung des Gouverneurs Gregory Abbott mindestens 34 Menschen an der University of Texas festgenommen, berichtete die Washington Post. Zuvor hätten Hunderte Studierende Vorlesungen und Seminare verlassen, um zu fordern, dass sich die Universität von Firmen trennt, die mit Israel Geschäfte machen. Auch am Emerson College in Boston im Nordosten des Landes kam es nach Demonstrationen zu mehreren Festnahmen.

Im Zentrum der Proteste steht die New Yorker Columbia-Universität, wo die Repression besonders heftig ist. Während die Präsidentin der Hochschule, Nemat Minouche Shafik, am vergangenen Mittwoch vor dem Bildungsausschuss des Repräsentantenhauses in Washington zu den Antisemitismusvorwürfen gegen die protestierenden Studierenden aussagte, versammelten sich in Upper Manhattan Hunderte Menschen – neben Studierenden auch zahlreiche Dozenten und Professoren, die die Repression als Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit bezeichnen –, um ein Protestcamp zu errichten und einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza zu fordern. Im Anschluss an ihre Erklärung forderte Shafik in einem von der Universität veröffentlichten Brief das New York City Police Department (NYPD) auf, Personen zu »entfernen«, die sich »entgegen den Regeln und Richtlinien der Universität« auf dem Campus aufhielten. Daraufhin stürmte die New Yorker Polizei das Gelände und schloss die Demonstrierenden mit Barrikaden ein. Nach Angaben des NYPD wurden mindestens hundert Personen festgenommen. Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie mehrere unbewaffnete Personen zu Boden gedrückt oder in Handschellen abgeführt werden.

»Wenn wir über Antisemitismus auf dem Campus sprechen, lenkt das die Aufmerksamkeit vom Gazastreifen ab«, sagte der jüdische Columbia-Student Jared Kannel am Mittwoch vor laufenden Kameras. »Ich bin hier völlig sicher, und das ist alles nur eine Ablenkung, weil sie nicht wollen, dass wir über das andauernde Massaker an palästinensischen Zivilisten in Gaza sprechen.« Die polizeiliche Repression zeigt nicht die von den Behörden erhoffte Wirkung, im Gegenteil: Inzwischen haben sich die Demonstrationen auf mehr als 40 weitere Universitäten ausgeweitet. Protestcamps wurden beispielsweise am Massachusetts Institute of Technology, am Emerson College, an der University of Michigan, an der University of California in Berkeley, in Harvard und in Yale errichtet.

Die Solidarität der Studierenden mit den Palästinensern scheint von den Herrschenden nicht mehr unterbunden werden zu können. Am Donnerstag und Freitag schwappte die Protestwelle auch nach Europa über. In Paris an der Sorbonne und an der Sciences Po sowie an der Universität La Sapienza in Rom schlossen sich Hunderte Studierende den Protesten an, um ein Ende des »Genozids in Gaza« zu fordern.

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