26.04.2024 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Verzweiflung in Wolfsburg

Auftakt der zehntägigen Messe »Beijing Auto Show«: Düstere Perspektiven für VW, Mercedes, BMW und Co.

Sebastian Edinger

Es mag den Chefs der deutschen Autokonzerne nicht gefallen, aber verglichen mit der gehypten Hannover-Messe, die am Freitag zu Ende geht, ist die Beijing Auto Show der weitaus wichtigere Termin. Sie öffnete am Donnerstag erstmals seit 2020 wieder ihre Tore für das Fachpublikum – für VW, Mercedes, BMW und Co. eine Gelegenheit, den rapiden Rückgang ihrer Anteile am riesigen chinesischen Markt versuchsweise abzubremsen. Klar ist, dass Autos made in Germany auch auf dem Weltmarkt gegenüber Wettbewerbern aus der Volksrepublik auf dem absteigenden Ast sind.

In China selbst dominieren einheimische Anbieter bereits. Allen voran der auf E-Autos und hybride Fahrzeuge spezialisierte Hersteller BYD. Er konnte zuletzt starke Zuwächse verbuchen – und im vergangenen Jahr mit 2,7 Millionen verkauften Fahrzeugen erstmals VW auf Rang zwei beim Gesamtabsatz verweisen. Der Konzern aus Wolfsburg belegte seit 2008 regelmäßig den Spitzenplatz, konnte 2023 aber nur noch 1,8 Millionen Autos in China verkaufen, Tendenz fallend. Von 2020 bis 2023 ist der Marktanteil von 19,3 auf 14,5 Prozent zurückgegangen.

Dabei ist der chinesische Markt mit seinen jährlich rund 25 Millionen Neuzulassungen unverzichtbar für VW, weshalb der Konzernvorstand nun auch geschlossen die Reise zur Beijing Auto Show antrat. Er wird nicht müde, Zuversicht zu verbreiten, will der Kundschaft in der Volksrepublik vor allem im Bereich E-Mobilität Neuheiten präsentieren. Konzernchef Oliver Blume kündigte an, in Beijing die »innovative Stärke« seiner Firma zu beweisen. Marktbeobachter sind weniger optimistisch: »Außer der Zuversicht des Managements gibt es bei VW wenige Proof-Points, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns, insbesondere bei Elektroautos in China, kurzfristig verbessert«, schrieben etwa die Analysten von Bernstein Research im März.

Die Bedeutung des chinesischen Markts für die deutschen Konzerne betont auch Frank Schwope, der Automobilwirtschaft an einer Fachhochschule in Köln und Hannover lehrt. »Man kann die Absatzmengen in diesem riesigen Markt nicht einfach auf etwa die USA umverteilen«, sagt er – und verweist auf die ungleichen Wachstumspotentiale. Philipp Kupferschmidt von der Unternehmensberatung Accenture ergänzt, die Deutschen müssten schon deshalb versuchen, in China mit den einheimischen Herstellern mitzuhalten, weil diese ihnen sonst auch auf dem Weltmarkt den Rang ablaufen: »Es geht da auch um die Zukunftsmärkte Südostasiens wie zum Beispiel Indonesien, die derzeit stark von den Chinesen besetzt werden.«

Dass Kraftfahrzeuge made in China auch im Weltmaßstab eine immer größere Rolle spielen, zeigt ein Vergleich der globalen Absatzzahlen von BYD mit jenen des US-Konkurrenten Tesla, der ebenfalls auf E-Mobilität spezialisiert ist: Während der Konzern von Elon Musk es im vergangenen Jahr weltweit auf rund 1,8 Millionen Auslieferungen brachte, gingen 2,9 Millionen E-Autos des chinesischen Anbieters über die Ladentheken. Auf Platz drei beim globalen Elektroautoverkauf landete – mit einer halben Million Verkäufen weit abgeschlagen – BMW. Dicht gefolgt von GAC Aion, einem weiteren Anbieter aus der Volksrepublik, mit 484.000 verkauften E-Autos.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, die deutsche Autoindustrie verliert an Boden. Und die chinesischen Wettbewerber bauen ihren Vorsprung mit enormen Investitionen in Forschung und Entwicklung weiter aus. So werden auch BYD und weitere Marken des Konzerns in Beijing neue Modelle präsentieren. Etwa den BYD Shark, einen Pick-up mit Plug-In-Hybrid, mit dem die Firma ein neues Segment erobern will. Von der BYD-Marke Fangchengbao wiederum werden mit den Modellen Super 3 und Super 9 ein Jeep und ein futuristischer, sportlicher Zweisitzer vorgestellt. Und gegen den Z9 GT von Denza mit Allradantrieb, drei Motoren und mehr als 900 PS dürften es künftig auch die kostspieligen Geländefahrzeuge von Porsche schwer haben.

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