26.04.2024 / Inland / Seite 5

Kühe in Ketten

Anbindehaltung in Ställen: BMEL legt überarbeitete Novelle zum Tierschutzgesetz vor. Stiftung »Vier Pfoten« kritisiert verwässerten Entwurf

Oliver Rast

Sie stehen in Reih und Glied auf glatten Vollspaltenböden in engen metallenen Boxen. Sie sind mit Seilen oder Ketten am Hals fixiert. Vor ihrem wuchtigen Schädel sind Futtertisch und Selbsttränke montiert. Lassen sie sich nach dem harten Werktag erschöpft nieder, landen sie mit den Hinterbeinen an der Kante zur Kotrinne. Ein finsteres Dasein in düsteren Ställen. Etwa bei Milchkühen. Zugegeben, die Situation hat sich auf den Höfen vielerorts gebessert; dennoch bleibt die sogenannte Anbindehaltung ein Politikum in der Agrarwirtschaft.

Die Ampelregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag ein novelliertes Tierschutzgesetz angekündigt. Ein erster Referentenentwurf lag bereits seit einem Jahr vor – und wurde besonders seitens großer Landwirteorganisationen scharf kritisiert, berichtete am Mittwoch das Onlineportal Agrar heute. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hat nun einen überarbeiteten Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gegeben, bestätigte am Donnerstag ein Sprecher von Minister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber jW. Dabei geht es unter anderem um die ganzjährige Anbindehaltung bei Milchkühen. Die soll verboten werden, aber erst nach zehn Jahren Übergangsfrist statt nach fünf, wie im ersten Entwurf formuliert. Und eh: kein Gesetz ohne Ausnahmen. Für Rinderbetriebe mit sogenannter Kombihaltung (Weide- und Anbindehaltung) bis zu einer Größe von 50 Tieren solle das Verbot nicht gelten. Außerhalb der Weidesaison müssen die Tiere dem Entwurf zufolge zweimal ­wöchentlich Auslauf erhalten.

Für den Bayerischen Bauernverband (BBV) gehe die »Entschärfung« der Gesetzesnovelle in die richtige Richtung. »Der massive Einsatz unseres Verbands über Jahre hinweg, die vielen Gespräche und Aktionen auf Bundes- sowie kommunaler Ebene erhalten Gehör«, wurde BBV-Milchpräsident Peter Köninger am Mittwoch in einer Mitteilung zitiert. Aber: Für die rund 9.000 Viehhalter mit ganzjähriger Anbindehaltung im Freistaat blieben zahlreiche Probleme. Denn die Umstellung auf eine Kombihaltung mit Weide- und Winterauslauf sei für zwei Drittel der betroffenen Höfe allein logistisch nicht zu erfüllen. Bisher nämlich galt die bayerische Kombimindestanforderung, dass Rinder an 120 Tagen im Jahr »entbunden« werden, um in einer »Trockensteher- oder Abkalbebucht« in der Stallanlage zu stehen. Besser haben es jene Tiere, die zumindest in einem Laufhof ihre Runden drehen können. Das heißt, ein Auslauf ins Freie, auf Weiden und Wiesen, ist bisher keine Voraussetzung für einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Kombihaltung.

Kritik äußern aber auch Tierschutzorganisationen. Die zeitliche Verdoppelung der Übergangsfrist und die Ausnahmeregel für Betriebe mit bis zu 50 Rindern würde den »ohnehin schon schwachen Gesetzentwurf weiter verwässern«, sagte das Mitglied der Geschäftsleitung der Tierschutzstiftung »Vier Pfoten«, Rüdiger Jürgensen, laut Mitteilung vom Mittwoch. Und die Stiftungsexpertin für Tiere in der Landwirtschaft, Nora Irrgang, ergänzte am Donnerstag im jW-Gespräch: Sollte die Novelle so im Bundeskabinett durchkommen, wäre das vorgesehene Anbindehaltungsverbot über Jahre hinweg faktisch vom Tisch. Ein Skandal, ein Armutszeugnis für das BMEL.

Minister Özdemir scheint Wogen glätten zu wollen. Nach jW-Informationen traf er sich am Donnerstag nachmittag nach Redaktionsschluss dieser Zeitung mit Vertretern mehrerer Tierschutzorganisationen. Dabei wollte er die Gründe für den überarbeiteten Gesetzentwurf erläutern. Die Novelle soll laut BMEL-Sprecher bis Mitte Mai im Kabinett durchgebracht worden sein. Für Irrgang bleibt das inakzeptabel: »Für Tierleid in den Ställen darf es keine Ausnahmen geben.« Sie plädiert für ein Verbot der Anbindehaltung bei Rindern. Generell.

https://www.jungewelt.de/artikel/474146.landwirtschaftspolitik-kühe-in-ketten.html