25.04.2024 / Inland / Seite 5

Jobcenter gegen Bürgergeld

Beschäftigte von Jobcentern sehen keine Verbesserung durch Hartz-IV-Reform. Mehrheit beklagt mangelnde Motivation bei Sozialleistungsbeziehern

Gudrun Giese

Der Streit um das Bürgergeld ist eine Episode reicher. Nach den Forderungen von CDU und FDP zu Verschärfungen bei der umbenannten Sozialleistung fördert nun eine aktuelle Studie zutage, dass auch Beschäftigte in Jobcentern sich mehrheitlich gegen die neuen Regeln aussprechen. Drei Wissenschaftler und ein Kommunalpolitiker befragten unter Beteiligung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Anfang des Jahres Beschäftigte in sieben nordrhein-westfälischen Jobcentern, wie sie die Leistung Bürgergeld beurteilen, die Hartz IV im Januar 2023 ersetzte.

Die Mehrzahl der Jobcenter-Mitarbeiter, rund sechzig Prozent, bezweifelte danach, dass Bürgergeld-Bezieher noch ausreichend motiviert seien, nach einer neuen Arbeitsstelle zu suchen. Nur jeder fünfte der Befragten bewertete das Bürgergeld als Verbesserung gegenüber der vorherigen Sozialleistung, etwa die Hälfte dagegen als Verschlechterung. Dass es so wenige positive Bewertungen gegeben habe, könne nicht nur mit der konkreten Ausgestaltung des Bürgergeldes zu tun haben, sondern auch mit der schlechteren Wirtschaftslage in der Bundesrepublik, vermutete Jürgen Schupp vom DIW, der zusammen mit Fabian Beckmann von der Universität Duisburg-Essen, Rolf G. Heinze von der Universität Bochum und Dominik Schad, Kreisdirektor in Recklinghausen, die Studie erarbeitet hat. »Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das Bürgergeld nicht seine Aufgabe erfüllt, nämlich die Erwerbsintegration von Leistungsberechtigten zu verbessern«, so Schupp. Ob das gelinge, müsse die weitergehende und langfristige Forschung zeigen.

So wie sich seit längerem in der Öffentlichkeit – angeheizt durch manche Medien – immer wieder Menschen negativ über Bürgergeld-Bezieher äußern, scheinen auch die Jobcenter-Mitarbeiter in NRW die Quintessenz von »Volkes Stimme« wiederzugeben: So lehnten in der Befragung 73 Prozent von ihnen die neue und bislang moderatere Sanktionspraxis beim Bürgergeld ab. Die Mehrheit hält auch nichts vom höheren Regelsatz für Erwachsene und den erhöhten Freibeträgen beim Schonvermögen im Vergleich zu den früheren Hartz-IV-Regelungen. Allein die höheren Bürgergeld-Regelsätze für Kinder sowie das bessere Schulungsangebot für Langzeiterwerbslose finden Gnade vor den Augen der Jobcenter-Beschäftigten. Mehr als drei Viertel von ihnen bewerten das ­Coaching als positiv.

Trotz der überwiegend schlechten Bewertung der Neuregelungen empfiehlt Studienmitautor Schupp, nicht gleich mit Änderungen beim Bürgergeld zu reagieren. »Für ein umfassendes evidenzbasiertes Urteil sollten vor allem die Ergebnisse des auf mehrere Jahre angelegten Evaluationsprogramms des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) abgewartet werden«, empfahl er. Sehr wahrscheinlich ist ein solches Abwarten nicht. So hat die Ampelkoalition ohnehin bereits zum Jahresbeginn die Sanktionsmöglichkeiten gegen sogenannte Totalverweigerer verschärft. Wer wiederholt Jobangebote ausschlägt bzw. nicht zu Terminen im Jobcenter erscheint, wird mit härteren Kürzungen bestraft als in der Ursprungsregelung.

CDU/CSU und FDP ist das aber noch viel zu lax. Die Parteien haben kürzlich ihre Vorstellungen für Sozialleistungen präsentiert: Die Union möchte eine »Neue Grundsicherung« etablieren, die in weiten Teilen eine Rückkehr zu Hartz IV bedeuten würde. Und die FDP will am kommenden Wochenende auf ihrem Bundesparteitag über härtere Sanktionen für Bürgergeldempfänger beraten. Der aktuelle Anteil von »Totalverweigerern« liegt übrigens nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bei etwa 0,4 Prozent. DIW-Wissenschaftler Schupp immerhin mahnte Politiker, Reformen des Bürgergelds oder neue Konzepte nicht schon jetzt in die Debatte zu werfen. Es sei falsch, aus politischem Kalkül die Stimmung gegen Bezieher von Bürgergeld anzuheizen. Gefragt sei vielmehr eine politische Kommunikation, die die Debatte versachliche.

https://www.jungewelt.de/artikel/474075.debatte-um-bürgergeld-jobcenter-gegen-bürgergeld.html