25.04.2024 / Inland / Seite 4

Nicht weiter mit »links«

Berlin: BSW stellt Kampagne für Europawahl vor. Fokus auf Friedenspolitik und soziale Gerechtigkeit. Abgrenzung von Ampel und AfD

Nico Popp

Es sei das »Grundproblem in der Politik«, sagt Fabio De Masi, dass mit dem »Label links« mittlerweile »andere Dinge« verknüpft werden als früher. Einst sei mit dieser Positionierung in den Augen der Menschen eine Ausrichtung auf die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung verbunden gewesen – gegen die Minderheit von Fabrikanten und Besitzern großer Aktienpakete. Heute würden alle Umfragen zeigen, dass das Etikett »links« von der Bevölkerung nicht mehr mit dieser Orientierung verbunden wird: »Deswegen glauben wir, dass wir mit diesen Etiketten nicht weiterkommen.«

Der Spitzenkandidat der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht bei der EU-Parlamentswahl reagierte damit am Mittwoch bei der Vorstellung des Wahlprogramms in Berlin auf die Bemerkung eines Journalisten, das BSW wolle ja »keine linke Partei sein«. Die Parteivorsitzende nahm den Ball auf. Das Problem nicht nur der deutschen Linken sei, »dass sie sich sehr stark entfremdet haben von den Wählerinnen und Wählern, die sie früher mal vertreten haben und deren Stimme sie waren«, sagte Wagenknecht. Sie würden nicht mehr wahrgenommen als eine »Kraft für soziale Gerechtigkeit«. Dafür reiche es nämlich nicht, ab und an auf ein Plakat zu schreiben, man sei für soziale Gerechtigkeit, und ansonsten Debatten über Sprachregeln und die als Klimaschutz gelabelte »Verteuerung des Lebens« zu führen. Das BSW wolle für die Menschen da sein, »die richtig kämpfen müssen« – und dazu für die »Mitte der Gesellschaft«.

Die am Mittwoch vorgestellte BSW-Kampagne richtet sich auf dieser Linie dezidiert gegen die Ampelparteien und versucht zusätzlich, die Partei als Alternative für diejenigen zu positionieren, die darüber nachdenken, der AfD ihre Stimme zu geben. »Das BSW gibt den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit, gegen diese schlechte Politik zu protestieren, ohne eine Partei wählen zu müssen, in der es Neonazis und Rechtsextremisten gibt«, sagte Wagenknecht.

Schwerpunkte der BSW-Kampagne sind vor allem Frieden und Diplomatie, »soziale Gerechtigkeit«, »wirtschaftliche Vernunft« und »Freiheit und Demokratie«. Das Migrationsthema spielte – wie schon beim Gründungsparteitag im Januar – bei der Vorstellung der Kampagne am Mittwoch zunächst keine Rolle. Erst auf Nachfrage hin steckte Wagenknecht noch einmal die bekannten Positionen dazu ab: Asylverfahren an den Außengrenzen und in Drittstaaten, Reduzierung der Zahlen. Auch Migration habe etwas mit Gerechtigkeit zu tun, weil sie vor allem ärmere Stadtteile belaste. Wer ein Anrecht auf Schutz habe, müsse diesen Schutz bekommen. Und nicht, wer »die Schleuser bezahlen« könne. Koparteichefin Amira Mohamed Ali sagte, man scheue sich auch bei diesem Thema nicht, »real existierende Probleme« anzusprechen. Das sei seinerzeit in der Linkspartei nicht so gewesen.

Angesprochen auf die BSW-Kritik am Vorrang von EU-Recht vor nationalem Recht sagte Wagenknecht, dass viele Mitgliedsländer Brüsseler Vorgaben ignorieren würden, wenn sie »nicht in die nationale Politik passen«. Auch die Bundesregierung setze bestimmte EU-Vorschriften nicht um – zum Beispiel die Mindestlohnrichtlinie, die dazu führen würde, dass der deutsche Mindestlohn bei knapp unter 14 Euro läge. Dagegen werde immer dann die Umsetzung eingefordert, wenn »mächtige Lobbyinteressen dahinterstehen«, etwa dann, wenn es um Privatisierung, Marktzugang oder Ausschreibungsregeln gehe. Das BSW, deutete Wagenknecht an, würde das gerne umgekehrt handhaben. Jedenfalls lehne man ab, dass die EU-Kommission sich immer mehr Kompetenzen »übergriffig« aneigne.

Die Beteiligten der Präsentation vermittelten den Eindruck, dass sie keinerlei Zweifel daran hegen, dass das BSW am 9. Juni mit einem guten Ergebnis abschneiden und mit mehreren Abgeordneten im EU-Parlament vertreten sein wird. Laut De Masi laufen bereits Gespräche mit Parteien aus anderen Ländern mit dem Ziel, eine neue Fraktion mit dem politischen Fokus auf den Themen friedliche Konfliktlösung und soziale Gerechtigkeit zu bilden.

Der beginnende Wahlkampf dürfte die Partei vor erhebliche Herausforderungen stellen. Wegen des von der Parteispitze verordneten »kontrollierten« Wachstums ist das BSW vorläufig weiterhin eine Kleinpartei. Das Kleben von Plakaten in der Fläche dürfte trotz der rund 20.000 Unterstützer, auf die Wagenknecht verwies, kaum überall möglich sein. Und deshalb wird die Partei, das wurde am Mittwoch deutlich, vor allem auf einzelne Großplakate und auf eine Onlinekampagne setzen. Und natürlich auf Wagenknecht. Die steht zwar nicht zur Wahl, wird aber die BSW-Kampagne in jeder Hinsicht prägen.

https://www.jungewelt.de/artikel/474070.wahl-des-eu-parlaments-nicht-weiter-mit-links.html