22.04.2024 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Gasstreit in Österreich entbrannt

Bundesregierung gespalten: Grüne wollen schnelleren Ausstieg aus Nutzung russischer Energie, Koalitionspartner ÖVP lehnt Pläne ab

Dieter Reinisch, Wien

Das Thema Energiesicherheit wird in Österreich derzeit wieder intensiv diskutiert, innerhalb der Bundesregierung ist nun ein Streit darüber entbrannt. Auslöser ist, dass Kiew den Transit von russischem Erdgas durch die Ukraine bis Ende des Jahres stoppen will. Davon betroffen ist auch die Transgas-Pipeline, über die die Alpenrepublik mehr als 90 Prozent ihrer Gasimporte bezieht und die seit 1968 zuverlässig Energie ins niederösterreichische Baumgarten liefert, wie das Ö 1-»Mittagsjournal« Ende vergangener Woche berichtete. Dort befindet sich die Gasdrehscheibe der österreichischen OMV, Endpunkt mehrerer Pipelines aus dem Osten.

Die österreichische Bundesregierung hat bisher jedoch keine Anstalten gemacht, Kiew von diesem Vorhaben abzubringen. Im Gegenteil: Der »grüne« Koalitionspartner will den Ausstieg aus der Nutzung von russischem Gas sogar beschleunigen, ohne Alternativen anzubieten. Vergangene Woche legte die Grünen-Umweltministerin Leonore Gewessler einen Gesetzentwurf vor, der Energieunternehmen dazu verpflichten soll, ihre Gasbezüge zu diversifizieren, um von russischem Gas unabhängig zu werden.

»Viel zu lang haben die Vorgängerregierungen in Österreich unsere Energieversorgung von Russland abhängig gemacht. Wir Grüne arbeiten täglich daran, diese Abhängigkeit zu beenden«, erklärte Lukas Hammer, Klima- und Energiesprecher der Grünen, am vergangenen Donnerstag. Vorbild für die österreichischen Grünen ist dabei die benachbarte Bundesrepublik: »In Deutschland, das fast kein russisches Gas mehr bezieht, ist das Gas heute billiger als in Österreich. Sollte sich Putin entscheiden, den Gashahn zuzudrehen, wird das noch dramatischere Auswirkungen auf unsere Gaspreise haben«, so Hammer.

Warum Putin den Gashahn zudrehen sollte, sagen die Grünen nicht und verschweigen, dass es Kiew ist, das die Pipelines ab Ende des Jahres schließen will. Nach Berechnungen der konservativen ÖVP würde sich das Gas in Österreich dann um weitere 30 Prozent verteuern. Dennoch sehen die Grünen im russischen Gas »eine Gefahr für unseren Wohlstand und für unsere Sicherheit«, wie Hammer erklärte. Die Gasversorger seien nun gefordert, alternative Bezugsquellen zu erschließen. Da sie dies aber nicht »aus eigenen Stücken tun«, brauche es eine gesetzliche Verpflichtung.

Die ÖVP lehnt den Gesetzesvorschlag als nicht umsetzbar ab. An der Börse gekauftes Gas könne nicht zurückverfolgt werden, konterte ÖVP-Energiesprecherin Tanja Graf auf Ö 1 den eigenen Koalitionspartner. Österreich dürfe keinen Alleingang machen, so Graf weiter. Die EU und Österreich hätten sich zum Ziel gesetzt, erst ab 2027 kein russisches Gas mehr zu kaufen. Auch das sei nicht bindend, da es keinen EU-Beschluss gebe. Um dennoch einem möglichen Ende der Gaslieferungen aus der Ukraine entgegenzuwirken, forderte Graf eine Wasserstoffstrategie, den Einsatz erneuerbarer Energieträger und eine rasche Anbindung an das westeuropäische Energienetz.

Ob dies kurzfristig umsetzbar ist, wenn Kiew tatsächlich den Gastransfer stoppt, wird von Experten bezweifelt. Kritik an der Regierung kam daher von SPÖ-Bereichssprecher für Energie, Alois Schroll: »Spricht die Regierung eigentlich noch miteinander? Anscheinend nicht! Die Regierung stellt damit die Versorgungssicherheit der österreichischen Bevölkerung aufs Spiel«, so der Politiker vergangenen Freitag. Österreich drohe durch die verschleppte Regierungspolitik »die nächste Energiekrise«. Auch die SPÖ fordert einen raschen Ausstieg aus der Versorgung mit russischem Erdgas. Aber auch sie bietet keine realistischen Alternativen für die Bevölkerung.

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