15.04.2024 / Inland / Seite 8

»Europäische Bewegungen schauen jetzt auf Berlin«

Nach EU-weiten Aktionstagen gegen Mietenwahnsinn ruht Hoffnung auf Enteignungsinitiative. Ein Gespräch mit Kim Meyer

Gitta Düperthal

An zehn Aktionstagen gegen »Mietenwahnsinn und Verdrängung« hat es mehr als 120 Aktionen in Europa gegeben. Auch in Berlin protestierten Mieter sowie wohnungs- und obdachlose Menschen. Was war dort los?

Angefangen hatte alles am 27. März mit unserem Protest vor dem Sozialministerium. Wenn es schon keine Wohnungen gibt, darf man nicht auch noch die aufsuchende Sozialarbeit der Kältehilfe nach dem Winter beenden: Das Leben auf der Straße erfordert Hilfe. In Zeiten der Klimakrise ist zumindest dafür zu sorgen, dass Obdachlose danach nicht etwa unter Hitze und Unwettern leiden.

Es gab unsere Aktion »Rettet das Tuntenhaus«. Im Februar wurde das Haus in der Kastanienallee 86 verkauft. Die Menschen des Treffpunkts queerer Subkultur, wo manche ihren Lebensraum haben, sind akut bedroht, bis Mai rauszufliegen. Wir wollen, dass das Haus bleibt: Der Bezirk Pankow prüft und nutzt das Vorkaufsrecht, überführt es in gemeinnützigen, nicht gewinnorientierten Wohnraum. Der Senat muss der Finanzierung zustimmen.

Richteten sich in Berlin auch Aktionen gegen Verdrängung und Ungleichheit?

Mehr als 100 Aktive demonstrierten auf der Insel Schwanenwerder, wo die Reichen und Schönen mit ihren Villen viel Platz beanspruchen. Dort wäre Bauland für Nachverdichtung, wir fordern eine Uferpromenade für alle. Etwa 80 Aktive waren vor einer Anwaltskanzlei in der Hardenbergstraße, um gemeinsam gegen Eigenbedarfskündigungen vorzugehen. Den Anwältinnen und Anwälten dort, die gezielt gegen Mieterinnen und Mieter vorgehen, wollten wir zeigen: Wir wehren uns. Viele haben Angst, ihre Mietwohnung zu verlieren, weil die in eine Eigentumswohnung umgewandelt wird. Wir wenden uns gegen Immobilienkonzerne, die so schnelle Profite machen wollen.

Der Senat hat den erfolgreichen Volksentscheid vom September 2021 über die Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen nicht umgesetzt.

Die Bewegung will 2025 einen neuen Volksentscheid als Gesetzesinitiative auf den Weg bringen – und zwar so wasserdicht, dass sich deutsche Politikerinnen und Politiker nicht mehr herausreden können, wenn sie das nicht umsetzen. Die Mieterinnen und Mieter und ihre Bewegung profitieren davon, dass die Teams von »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« mit viel Elan dabei sind.

Wachsen Mieten und Wohnungsnot in der BRD im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dramatischer?

Auch in Spanien gibt es täglich Zwangsräumungen. Wohnungen dort muss man meist als Eigentum erwerben. Können Menschen die Kredite dafür nicht mehr bedienen, setzen die Banken sie auf die Straße. In Frankreich schießen die Mietpreise besonders in den Metropolen in die Höhe, wo viele Menschen ihre Arbeitsplätze haben. In Finnland dagegen schaffte die vorherige Ministerpräsidentin Sanna Marin die Obdachlosigkeit nahezu ab, obwohl auch dort ein kapitalistischer Markt existiert. Staatseigene Wohnungen wurden obdachlosen Menschen zur Verfügung gestellt. Über landeseigene Bestände könnte auch der Berliner Senat Einfluss nehmen. Aber die jetzige CDU-SPD-Koalition steht klar auf seiten des Eigentümers oder der Vermieterin und hat jegliche soziale Verpflichtung außer Kraft gesetzt.

Wie erklären Sie sich, dass die CDU so viele Stimmen holte?

Viele glauben, für die große Mehrheit bleibe genug übrig, wenn man das Kapital stark macht. Aber so funktioniert der entfesselte Kapitalismus nicht. Ich hoffe, dass alle aufwachen und mit uns auf die Straße gehen – auch gegen die CDU. Europäische Bewegungen schauen jetzt auf Berlin, ob wir die Enteignungsforderung hinbekommen. Wir haben eine über Berlin hinausgehende soziale die Verpflichtung, das zu schaffen.

Was ist für den 1. Juni mit der Großdemo »Die Miete ist zu hoch« in Berlin geplant?

Wir sind die Mehrheit und wollen dieses Gefühl wieder auf der Straße erleben. Wir fordern eine radikale Wende in der Wohnungspolitik, die die Mieterinnen und Mieter ins Zentrum stellen muss und nicht die Interessen von Eigentümern und Spekulanten. Eigenbedarfskündigungen, die Betroffene in eine existentielle Bedrohungslage bringen, dürfen nicht verharmlost werden.

Kim Meyer ist Sprecherin des »Bündnisses gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung« in Berlin

https://www.jungewelt.de/artikel/473339.kampf-ums-wohnen-europäische-bewegungen-schauen-jetzt-auf-berlin.html