15.04.2024 / Ausland / Seite 2

Liberalisierung vertagt

Debatte über Schwangerschaftsabbrüche in Polen. Koalition uneins über Entkriminalisierung. Sonderausschuss soll Positionen vereinheitlichen

Reinhard Lauterbach

Die polnische Regierungskoalition hat die Frage einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts vertagt. Am Freitag beschloss das Parlament in Warschau die Berufung eines Sonderausschusses mit der Aufgabe, die unterschiedlichen Positionen der Regierungsparteien zu diesem Thema zu vereinheitlichen. So jedenfalls lautet die offizielle Begründung. Das faktische Argument dürfte sein, auf diese Weise den Ausgang der Präsidentenwahl im Sommer 2025 abzuwarten – in der Hoffnung, dass der Nachfolger von Andrzej Duda von der PiS eine teilweise Freigabe des Abbruchs nicht blockieren werde, was Duda angekündigt hatte.

Die polnische Koalition ist sich nur darin einig, die gegenwärtige restriktive Rechtslage zu lockern, die Schwangerschaftsabbrüche nur nach Vergewaltigung oder Inzest bzw. bei Lebensgefahr für die Mutter zulässt. Uneins sind die Regierungspartner, wie weit diese Liberalisierung gehen soll. Die Linkspartei und die »Bürgerkoalition« von Regierungschef Donald Tusk wollen eine Fristenlösung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche einführen, die Linke überdies noch den verhängnisvollen Straftatbestand von »Beihilfe zur Abtreibung« streichen, wegen dem vielen Frauen eine ärztliche Behandlung verweigert wurde. Dagegen strebt die mitregierende christlich-liberale Partei »Dritter Weg« allenfalls eine Rückkehr zum »Abtreibungskompromiss« von 1993 an, bei dem die im Sozialismus 35 Jahre lang geltende Fristenlösung durch ein Indikationsmodell ersetzt worden war. 2020 hatte das polnische Verfassungsgericht aus den drei dort vorgesehenen Indikationen die in der Praxis am häufigsten herangezogene Voraussetzung einer schweren Schädigung des Fötus gestrichen, weil sie dem »Recht auf Leben« widerspreche. Der »Dritte Weg« will außerdem eine Volksabstimmung über das Thema Schwangerschaftsabbruch ansetzen. Die rechten Parteien PiS und »Konföderation« widersetzen sich jeder Liberalisierung; aus Umfragen geht hervor, dass gesellschaftliche Mehrheiten für eine Streichung oder Lockerung des Abtreibungsverbots sind.

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