12.04.2024 / Ausland / Seite 8

»Viele Parteien werden Unterstützung verlieren«

Palästina-Kongress 2024: Über zionistische Propaganda und die deutsche Position zum Völkermord in Gaza. Gespräch mit Lucas Febraro

Carina Scherer

An diesem Wochenende soll der Palästina-Kongress in Berlin stattfinden. Seit Wochen toben bürgerliche Medien und Politiker deswegen. Warum?

Die Propaganda in bezug auf den Staat Israel ist im allgemeinen Bewusstsein der deutschen Gesellschaft verankert: Dass Zionismus und Judentum das gleiche seien oder das Land Palästina zu Israel gehöre. Die Ironie besteht darin, dass die Legitimation für Israels Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen an der palästinensischen Bevölkerung der von Nazideutschland begangene Völkermord ist. Hinzu kommt, dass Israel und Deutschland seit den 1960er Jahren nach dem »Eine Hand wäscht die andere«-Prinzip agieren: Die BRD unterstützt Israel, im Gegenzug wurde »unter den Teppich gekehrt«, dass Westdeutschland nie denazifiziert wurde.

Wie steht die deutsche Regierung mit ihrer Position im internationalen Vergleich da?

Sie unterscheidet sich nicht sehr von der Position der US-amerikanischen oder britischen Regierung. Abgesehen davon, dass sich hierzulande Politiker wie Baerbock, Scholz und Habeck vor der Kamera maßlos blamieren, weil sie leugnen, was nicht zu leugnen ist.

Kritische Beobachter sprechen in Anbetracht der Repression in Deutschland von einer »undemokratischen Vorgehensweise«. Wie stehen Sie dazu?

Deutschland hat seinen Status als Demokratie bereits verloren. Wir sehen, dass Leute wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien von Hausdurchsuchungen betroffen sind und Künstler gecancelt werden. Wenn du hierher migriert bist und verhaftet wirst, weil du auf der Straße protestierst, kann das negative Auswirkungen auf deine Aufenthaltserlaubnis haben. Die Bandbreite reicht von außergewöhnlich aggressiver Polizeigewalt bis hin zum Verlust der Existenzgrundlage oder der Möglichkeit, im Land zu bleiben.

Wie relevant ist die Position der deutschen Regierung zum Gazakrieg hinsichtlich der EU-Wahlen?

Sehr relevant. Viele traditionellen Parteien werden Unterstützung verlieren, weil sie das Vertrauen von Millionen Menschen verspielt haben. Zusätzlich sind die Rechten auf dem Vormarsch. Die Herausforderung besteht darin, die Leute davon zu überzeugen, dass es sich trotzdem lohnt, wählen zu gehen, und zwar für Parteien, die sich nicht scheuen, zu sagen, dass der Völkermord gestoppt werden muss und Israel ein Apartheidstaat ist.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Palästina-Kongress doch noch verhindert wird?

Es ist durchaus möglich, dass er ohne triftigen Grund abgesagt wird. Es war sogar die Rede davon, internationalen Teilnehmern die Einreise nach Deutschland zu verweigern. Die Polizei kann außerdem behaupten, dass es »Sicherheitsbedenken« gebe – ein Vorwand, mit dem in der Vergangenheit bereits unzählige andere propalästinensische Veranstaltungen verhindert wurden.

Warum wird der Kongress als Bedrohung empfunden?

Er könnte der palästinasolidarischen Bewegung hier noch mehr Auftrieb geben, was als Bedrohung für das »Staatsräson«-Narrativ wahrgenommen wird, das die öffentliche Meinung beherrschen soll. Laut einer Umfrage denkt die Mehrheit der Deutschen, dass die Aktionen der israelischen Regierung in Gaza nicht gerechtfertigt sind. Die Regierung sieht also, dass sie mit ihrem bisherigen Kurs Zustimmung verlieren wird.

Ist es realistisch, dass die Regierung zurückrudert und eine andere Position einnimmt?

Definitiv. Die Frage ist, wie lange es dauern wird. Wie viele Palästinenser müssen noch sterben? 30.000 waren nicht genug. Wird es sich erst ändern, wenn die ethnische Säuberung des Gazastreifens abgeschlossen ist? Es handelt sich um den ersten Völkermord der Geschichte, der live übertragen wird. Wie lange kann eine Bevölkerung auf ihre Handydisplays starren und kommentarlos zusehen, wie Kinder in die Luft gejagt werden? Die öffentliche Meinung wird sich ändern, eine Gesellschaft kann solcher Unmenschlichkeit nicht ewig zusehen. Wenn es soweit ist, werden Baerbock und Konsorten behaupten, sie hätten von all dem nichts gewusst.

Lucas Febraro ist Autor und Kommunikationsdirektor von DIEM 25, einer paneuropäischen Bewegung, die mit ihrer Partei MERA 25 bei den EU-Wahlen antritt

https://www.jungewelt.de/artikel/473192.palästina-kongress-2024-viele-parteien-werden-unterstützung-verlieren.html