12.04.2024 / Titel / Seite 1

Baulücke BRD

Wohnungsbautag: Verbände sehen Krise als Katalysator für Niedergang der Wirtschaft. Gewerkschaft und Mieterbund fordern »Turbogang« für sozialen Neubau

Oliver Rast

Tagen, gipfeln – das können sie gut. Diagnosen stellen, Prognosen wagen auch. Nur, was bringt’s? Oft nix. Am Donnerstag rief ein Verbändebündnis lauthals zum: »Wohnungsbautag«. Es war bereits der 15., das Motto diesmal: »Deutschland wieder zur Wohnnation machen – Kein Wachstum der Wirtschaft ohne Wohnungsbau«. Alle waren da in Berlins Mitte: Immobilienlobby, Mieterverbände, Gewerkschaften, Branchenindustrie.

Zwei neue Wohnungsbaustudien dienten den Tagungsfreudigen als Arbeitsgrundlage. Eine vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), eine von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE). Die Quintessenz vorhersehbar: Die Krise im Wohnungsbau könnte die gesamte BRD-Wirtschaft treffen, hart sogar. Denn die Branche sei ökonomisch ähnlich bedeutend wie die Automobilindustrie. Bricht der Bausektor weiter ein, koste das Milliarden Euro, etwa durch ein Minus im Steuersäckel. Und: Sei die »fatale Entwicklung« nicht umkehrbar, drohe ein krisenbedingter Dominoeffekt samt Totalkollaps, so die Studienmacher.

Nur, statt Lösungen zu präsentieren, stimmen Verbandsbosse der Wohnungsunternehmen großteils Klagelieder an. Fehlende Neuaufträge, stornierte Projekte. Bauvorhaben hätten sich wegen des kräftigen Anstiegs der Kreditzinsen und Baukosten in den vergangenen zwei Jahren enorm verteuert. Die Leier, bekannt.

Was stimmt, ist: Die Armuts- und Kriegsampel versagt auch auf dem Wohnungsmarkt. Die Dreierkoalition hatte bei Machtantritt versprochen, 100.000 Sozialwohnungen zu bauen – pro Jahr. Ein Viertel sind es im Schnitt tatsächlich, »eine Bankrotterklärung«, konstatierte die wohnungspolitische Sprecherin von Die Linke im Bundestag, Caren Lay, am Donnerstag. Funfact: Der Bund hat 2023 ganze 68 (!) Wohnungen neu gebaut.

Und es dürfte immer enger werden, sprichwörtlich. Aktuell lebten laut ARGE-Studie rund 9,3 Millionen Personen in der BRD in überbelegten Wohnungen. Das sind elf Prozent der Bevölkerung. Bei Armen sei die Lage vielerorts bereits dramatisch. Jeder Fünfte wohne beengt, es drohe eine »Eskalation der Wohnungsnot«. Lukas Siebenkotten ergänzte: »Jeder dritte Mieter ist finanziell überlastet«, so der Präsident des Deutschen Mieterbunds. Auch deshalb forderte der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger, endlich »in den Turbogang« für sozialen und bezahlbaren Wohnungsneubau zu schalten. Wie? Mittels jährlicher Subventionen in Höhe von 23 Milliarden Euro. Wie es das Verbändebündnis fordert.

Tja, und dann das noch: Der Eigentümerverband Haus & Grund will gegen die »Mietpreisbremse« prozessieren, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Erst am Mittwoch hatten sich Innen- und Justizressort des Bundeskabinetts auf eine Verlängerung des mietenpolitischen Instruments verständigt. Bis 2029. »Verfassungsrechtlich kaum begründbar«, meinte Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) am Mittwoch zu jW. Weshalb? Die Mietpreisbremse sei ein intensiver Eingriff, so der Sprecher für Bauen und Wohnen seiner Bundestagsfraktion weiter. Worin? »In das Eigentum von Vermietern.«

Mieteraktivisten widersprechen: Die »Bremswirkung« sei gering, habe die Mietenexplosion in »angespannten Wohnungsmärkten« nicht gestoppt. Kein Wunder: Die »Bremse« besage nur, dass bei Abschluss eines neuen Mietvertrags die Wohnraumkosten bei Neubauwohnungen nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen. Für viele viel zuviel.

Was bleibt? Rufe zum Tagen, zum Gipfeln – lauthals zum »Wohnungsbautag« (im kommenden Jahr). Wetten?

https://www.jungewelt.de/artikel/473155.ampeldesaster-baulücke-brd.html