11.04.2024 / Sport / Seite 16

Sie könnten seine Kinder sein

Er darf noch mal: Tischtennissenior Timo Boll fährt zu Olympia

Jens Walter

Die Kunde von seiner mutmaßlich letzten Olympiachance erreichte Timo Boll während des Familienurlaubs in den österreichischen Bergen. »Paris ist noch einmal ein ganz großes Ziel für mich«, freute sich der 43jährige Düsseldorfer, wie zu erwarten war, über seine historische Nominierung: »Dabei zu sein, würde mich stolz und glücklich machen – weil ich weiß, dass nach Leistung und nicht nach Verdiensten entschieden wird.«

Seit Dienstag ist es offiziell, der Deutsche Tischtennisbund (DTTB) schlägt den EM-Rekordsieger als dritten Spieler für das Mannschaftsturnier vor. In Frankreich sollen Boll, Europameister Dang Qiu und der zweimalige Olympiadritte Dimitrij Ovtcharov als DTTB-Trio im Teamwettbewerb die fünfte Olympiamedaille in Folge holen.

Die endgültige Nominierung wird Anfang Mai durch den Deutschen Olympischen Sportbund erfolgen. Bolls Teilnahme würde deutsche Sportgeschichte schreiben: Vor dem Fahnenträger der Olympiamannschaft 2016 in Rio de Janeiro und vierfachen Medaillengewinner nahmen bisher nur Ralf Schumann (Sportschießen; 1988–2012; 1984 qualifiziert) und Ludger Beerbaum (Springreiten; 1988–2008, 2016) siebenmal für die DDR bzw. BRD an Sommerspielen teil.

Die Nominierung bekommt Boll, erstmals Olympiateamspieler 2000 in Sydney, »nicht geschenkt«. Nach einer langen Zwangspause im Vorjahr wegen einer Schulterverletzung kämpfte sich der zweimalige WM-Dritte wieder in die Top 30 der ITTF-Weltrangliste zurück. Im mannschaftsinternen Konkurrenzkampf mit Qiu, Ovtcharov und Patrick Franziska – diese Woche auf den Rängen 10, 11 und 16 – punktete Boll mit mehreren Erfolgen und liegt nun auf Rang 27. Zu Jahresbeginn gewann der Linkshänder erstmals seit drei Jahren wieder ein internationales Turnier: das WTT Contender Doha 2024.

Bundestrainer Jörg Roßkopf begründete seine Entscheidung gegenüber dem sid mit »Erfahrung, Konstanz und Ergebnissen der vergangenen Monate. Man hat immer sehen können, dass alle noch großen Respekt vor Timo haben, was für Olympia auch wichtig ist«. Er sei bei »meiner schwersten Nominierung als Trainer« davon überzeugt gewesen, »dass Timo die bessere Form hat und wir das bestmögliche Team nach Paris schicken«, sagte der frühere Weltmeister weiter.

Das Vertrauen will Boll, der in den Einzelwettbewerben seinen Kollegen Qiu und Ovtcharov nur zuschauen können wird, rechtfertigen. »Der Aufwand«, sagte Boll dem sid kurz vor Verkündung der Entscheidung, »ist inzwischen zwar sehr hoch, aber ich spüre, dass ich wieder auf ein anderes Level gekommen bin. Es ist ein gutes Gefühl, gegen die Jungen mithalten zu können.« Es sei »immer wieder interessant, gegen Gegner zu spielen, die meine Kinder sein könnten«.

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