11.04.2024 / Schwerpunkt / Seite 3

Auf schmalem Grat

Handelspartner und »strategischer Rivale«. Bei seinem Besuch in China wird Kanzler Scholz allerhand widerstreitende Interessen ausgleichen müssen

Wolfgang Pomrehn

In Beijing geben sich derzeit Diplomaten und Regierungschefs aus der Europäischen Union die Klinke in die Hand. Ende März war der niederländische Premierminister Mark Rutte zu Gast in der chinesischen Hauptstadt, derzeit sind es hochrangige Klimadiplomaten, und am Sonnabend reist schließlich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an. Zunächst wird er in Chongqing, einer Megametropole am Oberlauf des Jangtse, und in Shanghai Niederlassungen deutscher Firmen besuchen. An den abschließenden politischen Gesprächen am Dienstag in Beijing werden auch Umweltministerin Steffi Lemke, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (beide Bündnis 90/Die Grünen) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) teilnehmen. Scholz geht es nach Bekunden eines Regierungssprechers unter anderem darum auszuloten, wie groß Chinas Einfluss auf Russland ist, und ob dieser zur Beilegung des Konflikts mit der Ukraine genutzt werden könne. Die Beteiligung der Ressortchefs zeigt allerdings, dass weit mehr auf dem Programm steht.

Dabei werden die deutschen Regierungsvertreter eine eigenartige Gratwanderung versuchen, denn laut Berliner »China-Strategie« ist die Volksrepublik »für die Bundesregierung gleichzeitig Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale«. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind einerseits eng, andererseits möchte die Bundesregierung Abhängigkeiten abbauen und die Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren. China ist nach den USA, Frankreich und den Niederlanden viertwichtigster Abnehmer deutscher Waren und wichtigster Lieferant für Einfuhren aller Art. Außerdem machen deutsche Unternehmen im Land der Mitte ausgezeichnete Geschäfte. Zuletzt wurden dort nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zehn Prozent aller deutschen Direktinvestitionen im Ausland getätigt. Von 2021 bis 2023 waren es 28 Milliarden Euro, in etwa so viel wie in den fünf Jahren zuvor. Allerdings hat 2020 erstmals seit langem ein deutscher Kapitalabfluss aus Fernost stattgefunden. Die in der China-Strategie geforderte Diversifizierung der deutschen Investitionen in Asien hat es nach den IW-Zahlen bisher nicht gegeben. An der Volksrepublik, die inzwischen unter anderem der weltweit größte Markt für Pkw ist, kommt die deutsche Wirtschaft nicht vorbei.

Wie alle europäischen Regierungen bewegt sich auch Berlin im Spannungsfeld eigener wirtschaftlicher Interessen, die gegenüber China besonders ausgeprägt sind, und dem Druck der USA, sich von der Volksrepublik wirtschaftlich zu entkoppeln. Washingtons Versuch, China den Zugang zu Spitzentechnologie zu verbauen, hatte zum Beispiel unlängst dazu geführt, dass ASML, der weltweit führende niederländische Anbieter von Lithographiesystemen für die Herstellung von Computerchips, seine neuesten Maschinen nicht mehr an die Volksrepublik verkaufen darf. Auch seine Wartungsdienstleistungen für dort bereits ausgelieferte Anlagen musste das Unternehmen einschränken. Frankreichs Botschafter in China, Bertrand Lortholary, hatte andererseits kürzlich in einem Interview mit der in Hongkong erscheinenden South China Morning Post europäische Eigenständigkeit betont. Die Souveränität habe Vorrang, und eine starke EU sei im Interesse Chinas. Paris erhoffe sich eine engere Zusammenarbeit unter anderem in Klimafragen.

Ähnlich postuliert es auch die Bundesregierung. Allerdings darf man gespannt sein, was mit der Zusammenarbeit in Klimafragen gemeint ist. Derzeit läuft in der EU ein Prüfverfahren gegen chinesische Hersteller von Solaranlagen, an dessen Ende Strafzölle auf Importe aus China stehen könnten. Doch das würde die Installation neuer Anlagen in der EU und damit den Solarstrom verteuern, den Klimaschutz schwieriger machen. Unklar ist jedoch, ob sich die Zollbefürworter an dieser Stelle durchsetzen können. Anders sieht es da bei den chinesischen Elektroautos aus, die der heimischen Autobranche zunehmend Konkurrenz machen. Hier könnte es demnächst Einfuhrbeschränkungen zum Schutz der heimischen Industrie geben, die den technologischen Wandel verschlafen hat.

Kommentar: Klimakiller vor Gericht

Es ist ein beliebtes Spiel, hierzulande wie auch sonst in Europa und Nordamerika. Wann immer es darum geht, von Politikern oder Konzernen Klimaschutz zu fordern, verweisen diese gerne auf China. Die bevölkerungsreiche Volksrepublik ist in der Tat inzwischen der größte Verursacher von Treibhausgasen. Doch das nur in absoluten Zahlen, wenn man die Emissionen nicht auf die Bevölkerungszahl umrechnet. Und sie hat vergleichsweise wenig zu den bereits in der Atmosphäre angereicherten und dort langfristig wirkenden Treibhausgasen beigetragen.

Inzwischen hat es sich allerdings bis zu den europäischen Richterbänken herumgesprochen, dass die Verantwortung für die Klimakrise auch in Europa zu suchen ist. Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Schweizer Bürgerinnen recht gegeben, die geklagt hatten, weil sie sich von ihrer Regierung durch mangelhaften Klimaschutz in ihren Menschenrechten beschnitten sehen. Es ist nicht das erste Mal, dass ein europäisches Gericht so entscheidet. 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass das Klimaschutzgesetz, da unzureichend, nicht mit den Grundrechten vereinbar ist. Das Gesetz war daraufhin nachgebessert worden, nur um vom Bundesverkehrsminister Volker Wissing fortgesetzt missachtet zu werden. Ein Berliner Verwaltungsgericht hat daraufhin der Bundesregierung im vergangenen Herbst Rechtsbruch attestiert, was diese jedoch nicht zur Einsicht brachte. Vielmehr legte sie Revision ein. Klimaschützerinnen und -schützer können vor Gericht also zunehmend Achtungserfolge erringen, Klimaschutz wird es allerdings nur mit öffentlichem Druck geben. Proteste, wie die dieser Tage durchgeführten Blockaden von Kohlekraftwerken, sind daher weiter wichtig.

(wop)

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