11.04.2024 / Titel / Seite 1

Fünf Jahre Folter

US-Kriegsverbrechen an die Öffentlichkeit gebracht: Am 11. April 2019 wurde der Wikileaks-Gründer Julian Assange in London verhaftet

Ina Sembdner

Fünf Jahre Isolationshaft, kafkaeske Verfahren und eine zerrüttete Gesundheit: Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben des Wikileaks-Gründers Julian Assange in den vergangenen 1.828 Tagen. Am 11. April 2019 stürmten britische Polizisten die ecuadorianische Botschaft in London und verhafteten den gebürtigen Australier. Nach dem Regierungswechsel in Quito hatte Ecuadors neuer Präsident Lenín Moreno den Journalisten zum Abschuss freigegeben, mit freundlicher Umwerbung der britischen Regierung seit 2017. Zuvor hatte Assange sieben Jahre lang – wie mittlerweile belegt ist unter Dauerbewachung und Missachtung seiner Persönlichkeits- wie auch anderer Rechte – politisches Asyl in der diplomatischen Vertretung erhalten. Mit immerhin etwas mehr Raum, als ihm im britischen Guantanamo, dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London, unter Folterbedingungen zugestanden wird.

Die USA versuchen seither, den 52jährigen in ihre Hände zu bekommen, um ihm auf eigenem Boden den Prozess machen zu können – vorzugsweise im berüchtigten sogenannten Espionage Court in Alexandria. »Es wird Spionagegericht genannt, weil noch nie ein Angeklagter aus dem Bereich der nationalen Sicherheit dort einen Prozess gewonnen hat«, sagt der CIA-Whistleblower John Kiriakou, der ebenfalls dort angeklagt war. »Die Geschworenen werden sich aus Leuten zusammensetzen, die für die CIA, das Pentagon, das Heimatschutzministerium, das FBI und Dutzende von Auftragnehmern der Geheimdienste arbeiten oder Verwandte in ihnen haben. Es ist also unmöglich, eine Jury zu bekommen, die nicht voreingenommen ist«, erinnerte er im März gegenüber Declassified UK.

Und Washington bekommt dafür weiterhin tatkräftige Unterstützung von der britischen Regierung wie auch von der Justiz des Vereinigten Königreichs. Ungeachtet aller an die Öffentlichkeit gelangten Erkenntnisse hat der Oberste Gerichtshof in London am 26. März – mal wieder – entschieden, den USA die Möglichkeit zu geben, »zufriedenstellende Garantien« abzugeben, dass Assange entsprechend seiner ihm zustehenden Rechte gemäß Verfassung behandelt wird. Das Land, dessen Hauptbelastungszeuge in dem Verfahren, Sigurdur Thordarson, vom FBI gekauft wurde; dessen Auslandsgeheimdienst ein Mordkomplott gegen Assange geschmiedet hat, soll nun versprechen, sich an Recht und Ordnung zu halten. Washington hat dafür bis nächsten Donnerstag Zeit.

Und Zeit bedeutet vor allem eins: Dass Assange mit jedem Tag dem Tod ein Stückchen näher kommt und daran gehindert wird, die Machenschaften der Herrschenden – sei es Korruption oder Kriegsverbrechen wie in den US-Feldzügen in Afghanistan und Irak – aufzudecken. Einen Minischlaganfall erlitt er bereits während einer Anhörung vor Gericht, und seine Familie ist nach jedem Besuch erschütterter von seinem Zustand. »Ich glaube, dass es Assange im amerikanischen Gefängnis schlechter gehen wird als mir«, prognostiziert Babar Ahmad. Er wurde 2012 von Großbritannien an die Vereinigten Staaten ausgeliefert, weil er zwei Artikel auf seiner Website veröffentlicht hatte, in denen er die Taliban-Regierung in Afghanistan unterstützte. Gegenüber Declassified erklärte auch er, dass die Zusicherungen der US-Regierung über den Zugang zu Gesundheitsversorgung »allesamt ein Schwindel« seien. »Nichts davon gilt, wenn man erst einmal dort ist. Natürlich ist Selbstmord ein sehr reales Risiko.«

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