10.04.2024 / Antifaschismus / Seite 15

Vom Widerstand gerettet

Als Dreijähriger von KZ-Häftlingen in Buchenwald vor der Ermordung bewahrt: Holocaustüberlebender Stefan Jerzy Zweig gestorben. Ein Nachruf

Ulrich Schneider

Stefan Jerzy Zweig, einer der bekanntesten Überlebenden des KZ Buchenwald, lebt nicht mehr. Bruno Apitz hatte ihm mit dem Roman »Nackt unter Wölfen« quasi ein Denkmal gesetzt, das bei Millionen Menschen das Bild der Rettung des »Buchenwald-Kindes« prägte. Sein Überleben galt für Nachgeborene als symbolisches Zeichen für Humanismus und Überlebenswillen der von den Nazis Verschleppten. Während die SS im Lager Herr über Leben und Tod war, setzten sich die politischen Gefangenen für die Schwächsten, die Kinder und Jugendlichen, ein.

Stefan Jerzy Zweig wurde am 28. Januar 1941 im Ghetto von Kraków geboren. Sein Vater, Zacharias Zweig, nahm ihn unter abenteuerlichen Umständen im August 1944 mit auf den Transport nach Buchenwald. Die kommunistischen Häftlinge Willi Bleicher und Robert Siewert nahmen sich seiner an und stellten in Abstimmung mit dem illegalen Häftlingswiderstand sicher, dass Stefan nicht nach Auschwitz deportiert wurde. Er wurde mit elf anderen von der Transportliste gestrichen, die dann jedoch mit neuen Namen aufgefüllt werden musste – so wollte es der Transportbefehl der SS.

Auf diese Weise kam der damals 16jährige Sinto Willy Blum auf die Liste. Wie spätere Forschungen ergaben, meldete sich der Jugendliche freiwillig. Er wollte demnach seinen jüngeren Bruder nach Auschwitz begleiten. Zu ihrem Schutz wurden Stefan und sein Vater anschließend im »kleinen Lager« untergebracht, da dort die SS seltener auftauchte. Tatsächlich überlebten beide und waren Zeugen der Selbstbefreiung des Lagers am 11. April 1945. Stefan Jerzy Zweig nahm als jüngster Häftling an dem Freiheitsappell am 19. April 1945 teil.

Der ehemalige Buchenwald-Häftling Bruno Apitz schrieb einen Roman über Zweigs Geschichte im Lager. »Nackt unter Wölfen«, 1958 in der DDR veröffentlicht, fokussiert auf die Rettung des Kindes. Die Verfilmung von Frank Beyer aus dem Jahr 1963 für die Defa war die zweite von insgesamt drei Adaptionen für die Leinwand und verdichtete das Buch auf die Botschaft der Solidarität, des Überlebenswillens und des Widerstands der KZ-Insassen. 2015 wurde der Stoff zuletzt für die ARD von Philipp Kadelbach inszeniert.

Bei der Errichtung der Gedenkstätte wurde in Buchenwald eine Gedenktafel angebracht. Auf ihr war zu lesen: »In diesem Gebäude befanden sich die Effektenkammer, die Häftlingsbekleidungskammer und die Gerätekammer. In der Effektenkammer versorgten Häftlinge den zwischen Säcken versteckten dreijährigen Stefan Zweig. Unter Einsatz ihres Lebens retteten sie das Kind vor der Vernichtung.« Mit der Abwicklung des Antifaschismus nach 1990 geriet auch die Erinnerung an die Rettung von Stefan Jerzy Zweig unter Beschuss. Der damalige Gedenkstättenleiter Volkhard Knigge ließ die Gedenktafel entfernen und behauptete, es habe keine Rettung gegeben. Aus seiner Sicht habe statt dessen ein »Opfertausch« stattgefunden. 2012 sorgte ein Gericht dafür, dass Knigge akzeptierte, den Begriff im Fall von Stefan Jerzy Zweig nicht mehr in Interviews zu verwenden.

Durch solche Angriffe tief verletzt und gesundheitlich eingeschränkt, zog sich Zweig in den letzten Jahren aus der Öffentlichkeit zurück. Er starb 83jährig bereits am 6. Februar in Wien, wie nun erst bekannt wurde. Die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis und die LAG Buchenwald-Dora trauern um den Zeitzeugen. Sie werden in seinem Sinne die Erinnerungsarbeit fortsetzen.

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