09.04.2024 / Schwerpunkt / Seite 3

Leerstelle im Programm

Südkorea: Verhältnis zwischen Seoul und Pjöngjang spielt bei Parlamentswahl kaum eine Rolle

Martin Weiser, Seoul

Ein Blick in die Wahlprogramme offenbart, wie wenig das Verhältnis zwischen Südkorea und dem nördlichen Nachbarn dieses Mal eine Rolle spielen soll. Die Progressive Partei wollte das Thema wie auch das Anbiedern von Präsident Yoon Suk Yeol bei Japan und den USA nicht einmal erwähnen. Selbst die sonst sehr an Kooperation mit der Demokratischen Volksrepublik Korea interessierte Demokratische Partei beschränkte sich lediglich auf die Erwähnung humanitärer Hilfe und von Treffen getrennter Familien, den Austausch in Kultur, Sport und Wissenschaft sowie die vage Reduzierung militärischer Spannungen. Die Grüne Gerechtigkeitspartei verband das Thema zumindest mit der Klimakatastrophe, um unter dieser Überschrift Stellung für militärische Abrüstung zu beziehen und einen gesamtkoreanischen Grundlagenvertrag für eine friedliche Koexistenz zu fordern.

Die linke Arbeiterpartei sowie die kleine »Partei der Bürgersouveränität« hatten zum Verhältnis der beiden Koreas wenigstens etwas Neues zu bieten. Etwa das Ende der Militärübungen mit den USA und deren Nutzung von Nuklearbombern und -U-Booten in südkoreanischen Gewässern per Gesetzesbeschluss und den Beitritt Südkoreas zum Atomwaffenverbotsvertrag. Oder die sofortige Wiederherstellung der Hoheit über die eigenen Streitkräfte im Kriegsfall, was die USA seit geraumer Zeit in Aussicht stellen, aber nie vollzogen haben. Die »Partei der Bürgersouveränität« hatte nur im Wahlkreis Yongsan eine Kandidatin aufgestellt, die anscheinend gezielt Kwon Yong Se bloßstellen wollte, Kandidat der Konservativen und bis Juli 2023 Wiedervereinigungsminister. Kwon trat am 4. April wieder zurück, damit keine linken Stimmen auf sie verschwendet werden.

Keine Partei wollte direkt den Präsidenten und seine rechte Regierung kritisieren, die seit Amtsantritt Propaganda gegen den Norden betreibt, teilweise mit Halbwahrheiten und selbstkreierten Fakten. Dass das jedoch nötig ist, bekräftigte das Wiedervereinigungsministerium am 2. April. Der Sprecher gab bekannt, dass die Demokratische Volksrepublik Korea versuche, sich in die Wahlen einzumischen, und verwies zum Beweis auf die regelmäßigen Berichte der Nachrichtenagentur KCNA über Proteste in Südkorea gegen Präsident Yoon. Diese Berichte würden die Demonstrationen viel größer darstellen, als sie sind, und damit die öffentliche Meinung im Süden beeinflussen. Dass die Regierung und gerade der Wiedervereinigungsminister damit selbst die Wahlen beeinflussen wollten, war für die meisten linken Journalisten im Süden offensichtlich. Schließlich kommt der Normalbürger wegen der Internetzensur und anderer Repressalien an die KCNA-Nachrichten oder andere nord­koreanische Medien gar nicht heran.

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