08.04.2024 / Ausland / Seite 6

SVP will Zuwanderung begrenzen

Schweiz: Volkspartei sieht »einzigartige Landschaft« in Gefahr

Kim Nowak

Drohen Asylsuchende und Migranten die Landschaft der Schweiz zu zerstören? Glaubt man den Worten der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP), scheint das der Fall zu sein. In der vergangenen Woche reichte die SVP 114.600 Unterschriften für ihre Initiative »Keine Zehn-Millionen-Schweiz!« ein, die auch unter »Nachhaltigkeitsinitiative« bekannt ist. Um unter anderem »unsere einzigartige Landschaft (und) unsere hohe Lebensqualität« zu schützen, dürfe die Alpenrepublik nicht mehr als zehn Millionen Einwohner haben.

Nach Angaben des Bundesamts für Statistik vom vergangenen Juni lebten erstmals mit 9.006.664 Menschen mehr als neun Millionen in der Schweiz. Am Donnerstag hieß es von seiten der SVP angesichts der vom Amt für das vergangene Jahr herausgegebenen Zahlen: »Rekordhohe Zuwanderung – 2023 wanderten mehr als 260.000 Personen in die Schweiz ein.« Das Kleingedruckte beim Bundesamt zeigt, dass darunter allein 22.100 Schweizer Staatsangehörige waren sowie 241.700 Ausländerinnen und Ausländer, von denen wiederum 20,1 Prozent aus der Ukraine eingewandert waren. Sollte die Bevölkerungszahl vor 2050 auf 9,5 Millionen steigen, müssten der Bundesrat und das Parlament laut der SVP-Initiative entsprechende Maßnahmen ergreifen. Darunter fallen zum Beispiel die Einschränkung des Familiennachzugs und der Stopp von Niederlassungsbewilligungen und Einbürgerungen für diejenigen, die vorläufig aufgenommen wurden.

Dass es den Rechten in erster Linie um eine Begrenzung der Zuwanderung geht und nicht um den Erhalt der Lebensgrundlage im Alpenstaat, ist offenkundig. In der Pressemitteilung vom 3. April beschwerte sich Thomas Aeschi, SVP-Nationalrat und Fraktionspräsident aus dem Kanton Zug, besonders über die 30.000 »Asylmigranten«, die 2023 die Schweiz erreichten: »Obwohl die Schweiz aus allen Nähten platzt, geht die maßlose Zuwanderung ungebremst weiter.« Für die Rechten scheint die Zuwanderung die Ursache aller wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu sein: ob steigende Mieten, überfüllte Züge oder Strommangel.

Die Initiative stellt dabei die Fortführung einer Kampagne dar, die die SVP seit zehn Jahren durchzuziehen versucht: Einwanderung zu unterbinden. Im Februar 2014 wurde die SVP-Initiative »Gegen Masseneinwanderung« angenommen. Deren Umsetzung wurde laut SRF, das sich auf Aussagen der SVP bezieht, allerdings durch Sozialdemokraten, Grüne, FDP, Grünliberale und christdemokratische »Mitte« verweigert, da sie den entsprechenden Verfassungsartikel 121a nicht umsetzen wollten. Dieser Artikel verlange bereits »eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung durch Höchstzahlen und Kontingente«, wie das SRF schrieb. Die EU, mit der die Schweiz neue Verträge hätte verhandeln müssen, sah sich jedoch nicht an den schweizerischen Verfassungstext gebunden, wodurch es letztlich zu keiner Einigung im Sinne der Alpenrepublik kam. Die SVP sprach damals, 2016, von einem »einmalig dreisten Vertragsbruch«.

Daher versuchte es die SVP 2018 mit ihrer »Begrenzungsinitiative«, mit der die Personenfreizügigkeit verboten werden sollte. Auch das hätte unweigerlich neue Verhandlungen mit der EU zur Folge gehabt. Diese Initiative wurde 2020 jedoch deutlich abgelehnt: 61,7 Prozent der Stimmberechtigten stimmten mit Nein. Das hinderte die Rechten nicht daran, einen weiteren Versuch zu starten, dessen erster Schritt nun getan wurde. Wie die vergangenen zehn Jahre zeigen, würde auch die »Nachhaltigkeitsinitiative« die EU herausfordern und Neuverhandlungen erzwingen. Denn sollte sich das Wahlvolk dafür entscheiden, wäre die Schweiz verpflichtet, die geforderten Maßnahmen zu erfüllen. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf die Personenfreizügigkeit. Käme es jedoch, wie so oft, zu keinem Kompromiss zwischen der EU und der Alpenrepublik, fordert die SVP die Aussetzung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU. Eine solche faktische Abschottung wird sicherlich nicht unbeantwortet bleiben. Sowohl die parlamentarische als auch die außerparlamentarische Linke der Schweiz muss sich auf einen weiteren Kampf gegen die Politik der Volkspartei einstellen – er hörte letztlich nie auf.

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