08.04.2024 / Inland / Seite 5

Mehr Armut, mehr Diebstähle

Polizeistatistiken konstatieren sprunghaften Anstieg bei Ladendiebstahl. Handelsverbände fordern mehr Repression gegen den »Fünf-Finger-Rabatt«

Gudrun Giese

Wachsende Armut treibt viele Menschen zum Diebstahl lebensnotwendiger Produkte. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Ladendiebstähle nach Angaben der polizeilichen Kriminalstatistiken sprunghaft angestiegen. Die Lebensmittelzeitung hat die entsprechenden Daten aus verschiedenen Bundesländern für ihre Ausgabe vom vergangenen Donnerstag ausgewertet. Danach lagen in Hamburg und in Sachsen-Anhalt die Steigerungsraten bei den Ladendiebstählen mit 38,5 bzw. 31,3 Prozent am höchsten. Doch auch in Brandenburg, Sachsen, Berlin, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nahmen die Diebstähle im Einzelhandel deutlich zu. Das EHI Retail Institute, Forschungs- und Bildungseinrichtung des Handels, schätzt die Dunkelziffer zudem auf über 98 Prozent. Die kriminalpolizeiliche Bilanz des Bundes für 2023 soll voraussichtlich in dieser Woche vorgestellt werden.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nannte den Anstieg »irre viel«. Aus Brandenburg hieß es, die Fallzahlen gingen sogar über das Niveau von 2019 – vor der Coronapandemie – hinaus. Der Hauptgrund für den Anstieg ergibt sich aus dem Bericht der hessischen Polizei: »Bei den entwendeten Gütern handelt es sich im Schwerpunkt um die des täglichen Bedarfs«, Lebensmittel, Getränke, Kosmetik wie auch Alkohol und Tabak werden ohne Bezahlung eingesteckt. Dirk Fornoff, Leiter der Abteilung Einsatz im Polizeipräsidium Darmstadt, führte die steigenden Fallzahlen bei den Ladendiebstählen so auch vor allem darauf zurück, dass viele Menschen wegen der steigenden Preise immer weniger Geld zum Leben hätten, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Onlineausgabe vergangenen Dienstag berichtete.

In der Region Südhessen fiel auch auf, dass sich Diebstähle in personalfreien Selbstbedienungsläden häuften. Ladendiebe gelangten zusammen mit Kunden ins Geschäft, wenn diese die Tür öffneten. Drei dieser Märkte gibt es in Darmstadt, und die dortigen Diebstähle machten 40 Prozent der Gesamtsteigerung bei dem Delikt aus. Zwar würden die Läden mit Kameras überwacht, aber der spätere Täternachweis sei schwieriger, als wenn ein Ladendetektiv den Dieb ertappt hätte, so Fornoff. Es sei nun geplant, den Zugang zu den Selbstbedienungsgeschäften zu erschweren und sie insgesamt besser zu sichern.

So muss die Ursache nicht angetastet werden: Die Polizeibehörden der Länder verweisen laut Lebensmittelzeitung darauf, dass sich die Täter meist in »prekären Lebenslagen« befänden. Frank Horst, Leiter des Fachbereichs Sicherheit beim EHI Retail Institute, urteilte, dass »höhere Preise und Werte Diebstahl attraktiver« machten. Allerdings sei Armut keine Rechtfertigung für Diebstahl, meinte er, sagte aber nicht, wann Diebstahl sonst gerechtfertigt sei. Die Handelsunternehmen machen sich wegen der Entwicklung große Sorgen, haben aber wohl weniger im Sinn, die Preise für Grundnahrungsmittel zu senken.

Die Strafverfolgungsbehörden müssten konsequenter vorgehen, mahnte der Handelsverband Sachsen. »Eigentumsdelikte dürfen nicht als Bagatellen betrachtet werden«, sagte dessen Hauptgeschäftsführer René Glaser. »Staatsanwaltschaften und Gerichte sollten bei Ladendiebstählen nur in Ausnahmefällen auf die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung zurückgreifen und Taten statt dessen konsequent verfolgen und strafrechtlich sanktionieren.« Obwohl die Einzelhandelsunternehmen viel in den Diebstahlschutz investierten, nehme der Ladendiebstahl spürbar zu, beklagte Glaser. Nun müsse als Antwort ein straf- und strafprozessrechtlicher Rahmen geschaffen werden, der strikte »repressive Maßnahmen der Polizei und Justiz sicherstellt«. Im Knast müssen sich die ertappten Delinquenten zumindest für die Dauer ihrer Haftstrafe nicht um die Beschaffung von Lebensmitteln und Duschgel kümmern.

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