06.04.2024 / Leserbriefe / Seite 14

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Zu jW vom 2.4.: »Signal für Frieden«

Auch in Sachsen-Anhalt in der kleinen beschaulichen Stadt Wolmirstedt fand am Ostermontag der Ostermarsch statt, er stand unter dem Motto »Lieber kriegsmüde als lebensmüde«! Es trafen sich mehrere Hunderte Menschen, so ca. 400 bis 500, zu dem diesjährigen Ostermarsch der Bürgerinitiative »Offene Heide«! Ich bin der Meinung, dass es in diesem Jahr mehr Menschen waren, die zu dem Ostermarsch gekommen sind als letztes Jahr, und das ist aber auch nicht wirklich verwunderlich! Wenn hierzulande von Kriegstüchtigkeit gesprochen wird, Aufrüstung das neue Zauberwort ist, es heißt: Wir brauchen eine wehrhafte Bundeswehr und NATO, dann sind diese Worte schon sehr beängstigend, der symbolische Auftakt zum Ostermarsch um fünf vor zwölf war mehr als passend. Denn das Kriegsgeschrei wird ja nicht weniger, wir haben den Krieg in Gaza und den Krieg in der Ukraine, der sich immer weiter zu einem Pulverfass entwickeln könnte, wenn Waffenlieferungen weiter wichtiger sind als Diplomatie und Friedensverhandlungen! Aber das sind ja bei weitem nicht die einzigen Kriege und militärischen Auseinandersetzungen auf unserer schönen Erde. Die Welt ist wahrhaftig in eine friedenspolitische Schieflage geraten und es ist fünf vor zwölf! Und wenn denn unsere Bundesregierung immer weiter Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete absegnet, dann muss man ihr entgegnen: Sie gießt bewusst Öl ins Feuer!

René Osselmann, Magdeburg

Anerkennung und Respekt

Zu jW vom 26.3.: »Wagnisse eingehen«

Matthias Oehme ist es zu verdanken, dass Verlage, die in der DDR eine große Leserschaft hatten, in der bundesdeutschen Medienlandschaft erhalten blieben und sich behaupten konnten. Vielen von uns Autoren, die wir als Zeitzeugen etwas mitzuteilen haben, bietet er eine Bühne für unser Leserpublikum und leistet dabei auch einen wichtigen Beitrag gegen eine einseitige Betrachtung der DDR-Geschichte. Darüber hinaus hat er sich große Verdienste um die Bewahrung des künstlerischen Schaffens und Lebenswerks von Peter Hacks erworben. Ihm gebührt Anerkennung und Respekt.

Ralph Dobrawa, Gotha

Konvertitin zur Vernunft

Zu jW vom 27.3.: »BSW ruft die Polizei«

Es handelt sich hier nicht um die große Schauspielerin Sarah Bernhardt, sondern um die Politikerin Sahra Wagenknecht. Hier geht es um eine Variation zum Thema Sektierer in der proletarischen und sozialistischen Bewegung. Dies scheint ein unausrottbares Phänomen zu sein, möglicherweise gehört es als Krisensymptom zur Überwindung von Krankheiten unabdingbar dazu.

In der jW vom 27. März 2024 berichtet Nico Popp unter der Überschrift »BSW ruft die Polizei« über einige politische Forderungen der Partei, die ihren Namen trägt. Er berichtet in einem sachlichen Ton, aber doch merkbar verwundert. An diesem Tag war auch ein Flyer im Briefkasten, wo das Bündnis Sahra Wagenknecht zu Unterstützungsunterschriften auffordert. Ganz am Schluss steht dann »ideologiefrei: Vernunft und Gerechtigkeit«. Es wird gesagt, die Kategorie »Gerechtigkeit« sei ideologiefrei. Fürwahr, eine kühne Behauptung. Und ein erneutes Beispiel für Wirrwarr in der theoretischen Analyse der kapitalistischen Wirklichkeit.

Frau Wagenknecht hat sich erklärt bei der Gründung eines Vereins und einer Partei, die ihren Namen tragen. Als erste politische Bestimmung des Vereins taucht der Begriff »Vernunft«, noch vor der Gerechtigkeit, auf. Vernunft ist eine zentrale Kategorie in der Philosophie von Hegel, einem idealistischen Philosophen. Eine vergleichbare Zentralkategorie bei Marx und Engels sind die »materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse«. Aber die materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse kommen bei Wagenknecht nicht vor. Sie hat den Übergang vollzogen, von einer materialistischen Gesellschafts- und Geschichtsanalyse zu einem idealistischen Vernunftstandpunkt. In der sozialistischen Terminologie nennt man derartiges Verhalten »Renegatentum«. Im christlichen Kontext nennt sich so etwas Konvertiten. Der berühmteste Konvertit im Christentum war der Apostel Paulus, der Apostel der Heiden, der vom Saulus, welcher die Christen verfolgte, zum Paulus, dem christlichen Prediger, konvertierte. Bei Frau Wagenknecht ist es eher umgekehrt. Sie konvertierte vom marxistischen Prediger zum nicht marxistischen Saulus.

Das Parteiprojekt von Frau Wagenknecht erinnert mich an die Ukraine. Es gab und gibt die ukrainische Politikerin Julija Timoschenko, die todsterbenskrank in ukrainischen Zuchthäusern von Wiktor Janukowitsch vegetierte, von Frau Angela Merkel freiverhandelt wurde und in der Charité auf wundersame Weise genesen ward. Sie gründete eine Partei mit dem schlichten Namen: Bjut – Block Julija Timoschenko. Etwas später gründete auch Petro Poroschenko (»Schokoladenpeter«) den Block Petro Poroschenko. Es gab keine weiteren politischen Inhalte, der Name des Oberchefs reichte völlig. Später hat man sich dann einen eher politischen Namen zugelegt. Auch beim Projekt Wagenknecht steht der Name anstelle von politischem Inhalt.

Kleine Arabeske: Dies ist auch eine Variation des klassischen dialektischen Themas von Knechtschaft und Herrschaft. Frau Wagenknecht will aus ihrem Knechtdasein ausbrechen und zur Parteiherrin werden.

Im Hintergrund der Geschichte steht Oskar Lafontaine. Nun habe ich als gelernter DDR-Bürger meine Erfahrungen mit intriganten Saarländern. Diese haben sich kindliche Verhaltensweisen bewahrt: erst etwas aufbauen, um es dann dickköpfig wieder einzureißen.

Das Vorgehen von Frau Wagenknecht wird in den bürgerlichen Medien mit offensichtlichem Wohlwollen begleitet. In einer solchen Situation meinte August Bebel sinngemäß: Wenn die mich loben, muss ich überlegen, was ich falsch gemacht habe. Aber eine solche Überlegung gibt es bei Frau Wagenknecht nicht.

Sie wird von den bürgerlichen Medien hochgelobt, um zu scheitern.

Bernd Vogel, Leipzig

Wagenknecht hat den Übergang vollzogen, von einer materialistischen Gesellschafts- und Geschichtsanalyse zu einem idealistischen Vernunftstandpunkt.

https://www.jungewelt.de/artikel/472819.aus-leserbriefen-an-die-redaktion.html