06.04.2024 / Titel / Seite 1

Spitze des Eisbergs

Rund 1.500 Faschisten und »Reichsbürger« mit Waffenerlaubnis in der BRD. Gruppe Die Linke im Bundestag beklagt stockende Entwaffnung

Nick Brauns

Bewaffnete Neonazis erweisen sich immer wieder als tickende Zeitbomben. Das zeigten etwa der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni 2019 und der Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) im Oktober desselben Jahres sowie das Massaker an neun migrantischen Gästen von Shishabars in Hanau im Februar 2020. Dazu kommen aufgeflogene Putschpläne aus dem »Reichsbürger«-Milieu, die im Falle ihrer Umsetzung zwar kaum zum Umsturz, wohl aber zu Blutvergießen geführt hätten.

Doch noch immer besitzen viele Faschisten ganz legal Waffen. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Gruppe Die Linke. 1.051 »Rechtsex­tremisten« und etwa 400 die Existenz der BRD leugnende »Reichsbürger« sind laut der Ende dieser Woche auf der Bundestagswebsite veröffentlichten Antwort Inhaber mindestens einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Nicht in der Statistik enthalten sind bewaffnete AfD-Mitglieder, soweit sie nicht den vom Inlandsgeheimdienst als »gesichert rechtsextrem« eingestuften Strukturen der Rechtsaußenpartei angehören.

Die nun vorgelegten Zahlen sind von Ende 2022. Für eine angemessene Gefährdungsanalyse bräuchte es aktuelle Daten, monierte daher die innenpolitische Sprecherin der Linke-Gruppe, Martina Renner, als Initiatorin der Anfrage am Freitag auf X. Zudem gelte es, auch Waffenhändler und Inhaber einer Erlaubnis zum Umgang mit Sprengstoff in den Blick zu nehmen. »Beides ist aber für das Innenministerium ein blinder Fleck«, so Renner, die konstatierte, dass die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigte Entwaffnung von Neonazis nicht recht vorankomme. So wurden 2022 laut Bundesregierung bei lediglich 181 »rechtsextremistischen Personen« waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen oder sie zur freiwilligen Abgabe derselben bewegt. Von Oktober 2016 bis Ende 2022 mussten zudem etwa 1.125 »Reichsbürger« ihre Waffenerlaubnis abgeben.

Für den Vollzug des Waffenrechts zuständig sind die Kommunen, die hier auf Informationen des Inlandsgeheimdienstes angewiesen sind. Doch der hält seine schützende Hand über seine V-Leute im faschistischen Milieu – erinnert sei an den NSU-Komplex. Ob ein Faschist »waffenrechtlich unzuverlässig« ist, müssen am Ende oft Gerichte entscheiden. So urteilte das Verwaltungsgericht Gießen Ende März, dass der Entzug der Waffen- und Sprengstofferlaubnis für einen Mann aus Altenstadt, der an Veranstaltungen der NPD (jetzt: Die Heimat) teilgenommen und deren Banner getragen hatte, ohne Beleg einer Parteimitgliedschaft unzulässig sei. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein den Widerruf einer Waffenerlaubnis wegen Teilnahme am NPD-nahen »Schild und Schwert«-Festival für rechtens erklärt.

Nazis, die etwa als Jäger oder Sportschützen über eine Waffenerlaubnis verfügen, sind nur die Spitze des Eisbergs. So hebt die Polizei regelmäßig illegale Waffenlager aus, deren Besitzer verharmlosend als »Waffennarren« tituliert werden. Anfang Februar etwa wurden nach einem anonymen Hinweis im hessischen Fuldatal mehr als 20 Lang- und Kurzwaffen, Munition und Nazidevotionalien sichergestellt. Und schließlich gibt es Faschisten im Staatsdienst, die Zugang zu Schusswaffen haben. Eine am Donnerstag veröffentlichte, von den Ländern unvollständig beantwortete Abfrage von Stern und RTL ergab, dass gegen mehr 400 Polizisten Disziplinarverfahren oder Ermittlungen wegen Verdachts auf faschistische Gesinnung geführt werden.

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