05.04.2024 / Inland / Seite 4

Kein Anwalt nötig

Berlin: Prozess gegen ehemaligen MfS-Mitarbeiter fortgesetzt. Aussagen für Anklage unergiebig

Nico Popp

Am Donnerstag wurde in Berlin der Prozess gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit fortgesetzt. Der Angeklagte soll am 29. März 1974 im Bereich des Grenzübergangs am Bahnhof Friedrichstraße einen polnischen Staatsbürger niedergeschossen haben, der versucht hatte, mit einer Bombendrohung in der polnischen Botschaft seine Ausreise nach Westberlin zu erzwingen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 80jährigen heimtückischen Mord vor.

Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages stand allerdings nicht dieser Sachverhalt im Mittelpunkt, sondern ausgerechnet Hubertus Knabe, der 2018 abgelöste ehemalige Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Knabe war unter den Zuschauern und hatte offenbar – zumindest wollten das die Justizbediensteten erspäht haben – gleich nach dem Betreten des Saals mit seinem Smartphone Fotos gemacht, obschon das streng untersagt ist. Daraufhin wurde er zum Vorsitzenden der 29. Strafkammer, Bernd Miczajka, zitiert, der ihn sichtlich erbost befragte. Der Inhalt des hochnotpeinlichen Verhörs ist der Nachwelt leider verlorengegangen, weil die Mikrofone ausgeschaltet waren.

Hatten zur Prozesseröffnung vor drei Wochen, von der vor allem der desolate, auf eine lediglich oberflächliche Befassung mit dem Fall hindeutende Auftritt eines Beamten des Berliner LKA in Erinnerung geblieben ist, die Plätze für Zuschauer und Pressevertreter nicht ausgereicht, war das Interesse diesmal, wie die vielen freien Sitzplätze signalisierten, schon erheblich geringer. Angekündigt waren für den Donnerstag die Aussagen eines ehemaligen MfS-Mitarbeiters, eines Mitarbeiters der inzwischen ins Bundesarchiv integrierten ehemaligen MfS-Unterlagenbehörde und zweier Zeuginnen, die als Schülerinnen an jenem Märztag im Jahr 1974 Beobachtungen gemacht haben. Eine Mitschülerin war bereits am ersten Prozesstag befragt worden; die beiden Aussagen vom Donnerstag brachten, obwohl nicht ganz übereinstimmend, nichts wesentlich Neues.

Zunächst sagte der 89jährige Herr T. aus. Er war 1974 Kraftfahrer im Ministerium für Staatssicherheit. Sein Name findet sich auf jener Liste mit auszuzeichnenden Mitarbeitern, auf der auch der angeklagte Manfred N. steht. T. erhielt an jenem 29. März von seinem Vorgesetzten den Befehl, mit einem in seiner Dienststelle in der Schnellerstraße vorgehaltenen Barkas-Krankenwagen – den er, wie er betonte, sonst nie fuhr – zum Bahnhof Friedrichstraße zu fahren. Dort nahm er eine auf einer Trage liegende verletzte Person in Empfang, die er weisungsgemäß anschließend in die Haftanstalt nach Hohenschönhausen fuhr. Sonst hatte er mit dem ganzen Vorgang offensichtlich gar nichts zu tun.

Vor der Aussage von T. kam es zu einer merkwürdigen Szene. Miczajka eröffnete dem betagten Mann, dass auch gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden sei und dass sich daraus ein weitgehendes Auskunftsverweigerungsrecht ergebe. Einer der Nebenklagevertreter intervenierte irritiert und stellte fest, dass T. unter diesen Umständen ein Rechtsanwalt hätte beigeordnet werden müssen. Das sah das Gericht anders. Und auch T. bekundete, die Fragen beantworten zu wollen – er brauche keinen Anwalt. Nach dem Ende der Befragung sagte Miczajka zu T., er müsse sich um das fragliche Ermittlungsverfahren wohl »keine großen Sorgen machen«.

Anschließend beantwortete Herr H. vom Unterlagenarchiv Fragen. Das bemerkenswerteste Resultat seiner Aussage war, dass bislang weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Unterlagenarchiv geprüft worden ist, wie die Auszeichnungen der anderen MfS-Mitarbeiter, die im Zusammenhang mit dem Fall 1974 Orden erhalten hatten, begründet worden sind – etwa in deren Kaderakten oder gesonderten Auszeichnungsvorschlägen. Aus einem Eintrag in der Kaderakte von Manfred N. nämlich glaubt die Staatsanwaltschaft, so scheint es, ableiten zu können, dass es sich bei ihm um den Schützen handelt. Was genau da steht, kam im Gerichtssaal bislang allerdings gar nicht zur Sprache. Miczajka fragte, wie lange es dauere, die anderen Einträge zu recherchieren. Bis zu vier Wochen, meinte H. Der Prozess wird am 18. April fortgesetzt.

https://www.jungewelt.de/artikel/472700.justiz-und-ddr-kein-anwalt-nötig.html