04.04.2024 / Inland / Seite 4

Lindners Klassen(wahl)kampf

FDP-Finanzminister will Steuersenkungen und mehr Härte gegenüber Lohnabhängigen. Koalitionspartner SPD und Grüne kritisieren Verbalattacke gegen Bürgergeld

Marc Bebenroth

Als Vorsitzender einer – laut Forsa-Umfrage – Vierprozentpartei kennt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) seine entscheidende Rolle auf der Regierungsbank für den Klassenkampf von oben. In einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der Rheinischen Post hat er seinen Sozialraubkurs bekräftigt und seine Besorgnis über die Situation seiner vermögenden Kernklientel zum Ausdruck gebracht. So forderte er, die Höhe von Lohn- und Einkommenssteuer an die Preissteigerung nach unten anzupassen. Den Grundfreibetrag will er rückwirkend zum 1. Januar 2024 erhöhen. Auch für 2025 und 2026 stellte er gegenüber der dpa Änderungen bei der Einkommenssteuer in Aussicht.

»Wenn Sozialleistungen an die Preisentwicklungen angepasst werden«, um Menschen in Armut ein wenig zu entlasten, müsse dies ebenso bei der Steuer für diejenigen erfolgen, die Lindner gegenüber dem Blatt als »arbeitende Bevölkerung« bezeichnet. Für den Finanzminister sei das »eine Frage der Leistungsgerechtigkeit«. Tatsächlich meint er »Fach- und Führungskräfte« sowie »den Mittelstand«. Seine Behauptung, sich um diejenigen kümmern zu wollen, »die den Staat finanzieren«, ignoriert entsprechend die Existenz von Massenverbrauchssteuern, die Bezieher niedriger Einkommen oder von Sozialleistungen proportional am stärksten belasten. Über die Absenkung jener Preistreiber schwieg sich der Finanzminister aus.

Das Bürgergeld (ehemals Hartz IV) »ist kein bedingungsloses Grundeinkommen«, betonte Lindner. Vermutlich, weil in den Kreisen, in denen er gewöhnlich verkehrt, vom Gegenteil ausgegangen wird und die Botschaft an das Prekariat wohl nicht oft genug wiederholt werden kann. »Wir müssen alles unternehmen, dass Menschen, die arbeiten können, auch tatsächlich arbeiten.« Der Staat habe »viele Stellschrauben« zur Disziplinierung der Lohnabhängigen – »von der Frage der Zumutbarkeit angebotener Arbeit über Sanktionen bis hin zu Arbeitsgelegenheiten wie den Ein-Euro-Jobs«.

Gegen das Anziehen der »Stellschraube« Sanktionen sprach sich am Mittwoch der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch im »Frühstart« der Sender RTL und N-TV aus. Der Rahmen dessen, was grundgesetzlich möglich sei, sei »vollständig ausgeschöpft«. Das Bundesverfassungsgericht habe vorgegeben: »Bis zu 30 Prozent« könne das Existenzminimum vom Staat gekürzt werden, bei Nichtbefolgen behördlicher Aufforderungen. Lindner bemühte gegenüber der Rheinischen Post ein »allgemeines Gerechtigkeitsgefühl«, wonach »eine Gegenleistung für Sozialhilfe verlangt« werden müsse. Dabei kennt der Finanzminister das Problem von zu großem Druck: »Diese Menschen nur als Lastesel zu behandeln, nimmt ihnen die Lust auf Leistung«, sagte Lindner dem Boulevardblatt Bild (Mittwoch) über die von ihm adressierten »Fach- und Führungskräfte«.

Auf wessen Kosten Lindner tief in der neoliberalen Kiste kramt, durchschaute unter anderem die SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt am Mittwoch: »Diejenigen, die zu wenig Geld haben, gegen diejenigen auszuspielen, die so gerade eben genug Geld haben, um über die Runden zu kommen«, sagte sie der dpa. Dies lenke »vor allem davon ab, dass wir nicht darüber sprechen, wie wir eigentlich sehr hohe Einkommen und Vermögen stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen können«, erkannte die Sozialpolitikerin.

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