03.04.2024 / Feuilleton / Seite 14

Rotlicht: Finanzkapital

Klaus Müller

Ausgang des 19. Jahrhunderts: Monopole unter den Banken und in der Industrie beteiligen sich am Eigentum des jeweils anderen und schicken ihre Vertreter gegenseitig in die Aufsichtsräte ihrer Gesellschaften. Große Banken und Produktionsmonopole verschmelzen mit Unternehmen aus Versicherung, Handel, Dienstleistungen und Transport. Das Finanzkapital entsteht, eine höhere Form des kapitalistischen Monopols, nach Lenin eins der fünf Merkmale des Imperialismus.

Firmen der Industrie helfen Banken zu gründen – Georg von Siemens z. B. die Deutsche Bank (1870) – oder erwerben Aktien der Kreditinstitute. Industrieunternehmen sichern sich den Zugriff auf die Geldquellen der Banken, die wollen, dass die Konzerne, denen sie Kredite gewähren, das geliehene Geld sicher und profitbringend anlegen. Das gemeinsame Interesse: sich gegenseitig überwachen und die Geschäftspolitik des anderen zum eigenen Vorteil beeinflussen.

Durch Aktientausch, Personalunion – eine einzelne Person übt mehrere leitende Positionen in verschiedenen Unternehmen gleichzeitig aus – und gemeinsame Interessen bilden sich mächtige Gruppen von Finanzkapitalisten – die Finanzoligarchie. Großaktionäre kontrollieren gewaltige Kapitalmassen, haben Hunderttausende verschachtelte Unternehmen weltweit im Griff. Ihre Dominanz greift über auf den kapitalistischen Staat und auf die ganze Gesellschaft. Die Finanzoligarchen beeinflussen über Unternehmerverbände, Tausende von Lobbyisten und Abgeordnete die Gesetzgebung der Parlamente und die Politik von Regierungen. »Sie entscheiden über Arbeitsplätze, Arbeits-, Wohn-, Ernährungs- und Umweltverhältnisse, über Produkte, Gewinnverteilung, Armut, Reichtum, Staatsverschuldung (…), dringen in die feinsten Poren des Alltagslebens von Milliarden Menschen ein, forschen es aus, krempeln es um – und kooperieren mit den Geheimdiensten« (Werner Rügemer). Sie erzielen riesige Profite aus der Produktion, aus Gründungen, der Emission und dem Handel mit Wertpapieren, der Spekulation mit Grundstücken, aus Dienstleistungen, staatlichen Rüstungsaufträgen, dem Kapitalexport und indem sie schwach entwickelte Länder ausplündern. Finanzgruppen leihen sich riesige Mengen an Geld, kaufen und verkaufen Aktien und Aktienkontrollpakete, wobei sie die Kursunterschiede an den Börsen der Welt ausnutzen. Sie erwerben Unternehmen, stoßen sie in Gänze ab oder zerlegen sie und veräußern sie häppchenweise. Um Steuern zu sparen, errichten sie Briefkastenfirmen in Steueroasen.

Frühe Finanzoligarchen in den USA waren die Rockefeller-Gruppe, hervorgegangen aus dem Verarbeitungsmonopol für Erdöl, und die Morgan-Gruppe, die sich auf das Monopol in der Eisen- und Stahlindustrie stützte. In Deutschland, schreibt Lucas Zeise, gruppierten sich um die Deutsche Bank und die Allianz-Versicherung »die Chemiegiganten Bayer, BASF und Hoechst, die drei Autokonzerne einschließlich des mehrheitlich staatlichen Volkswagen-Konzerns, die großen überwiegend staatlichen Versorger Veba und RWE, die Stahlkonzerne Thyssen, Krupp und Mannesmann, schließlich der Elektrokonzern Siemens«.

Die mächtigste, weltweit agierende Finanzgruppe ist die in einem Wolkenkratzer von New York City residierende Fondsgesellschaft Blackrock (Schwarzer Fels). Sie verwaltet ein Vermögen von zehn Billionen US-Dollar, ist Miteigentümerin von 17.000 Unternehmen, darunter alle 40 Dax-Konzerne, was die gewachsene Macht des US-Finanzkapitals im deutschen Kapitalmarkt zeigt. Zu ihren Kunden gehören Zentralbanken (u. a. die EZB) und das britische Finanzministerium. Ihr Gründer und Chef Laurence D. Fink bezieht ein Jahresgehalt von 33 Millionen US-Dollar.

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