03.04.2024 / Ausland / Seite 7

Helfer gezielt ausgeschaltet

Gaza: Israel greift Hilfskonvoi an - sieben Tote, darunter ausländische Staatsbürger. Kein Aufschrei wegen zeitgleich getöteter Palästinenser

Gerrit Hoekman

Am Montag sind im Gazastreifen sechs humanitäre Helfer der NGO World Central Kitchen (WCK) und ihr palästinensischer Chauffeur und Dolmetscher bei einem anscheinend gezielten israelischen Angriff getötet worden. Das WCK-Team sei mit zwei Panzerwagen und einem ungepanzerten Auto in einer konfliktfreien Zone gefahren, erklärte die NGO am Dienstag in einem Statement auf ihrer Homepage. Die Fahrzeuge hätten deutlich sichtbar das Logo der Hilfsorganisation getragen.

»Trotz der Koordinierung der Bewegungen mit der israelischen Armee wurde der Konvoi getroffen, als er das Lagerhaus in Deir Al-Balah verließ, wo das Team mehr als 100 Tonnen humanitäre Nahrungsmittelhilfe entladen hatte, die auf dem Seeweg nach Gaza gebracht worden war«, so die Organisation. »Das ist nicht nur ein Angriff auf WCK, es ist ein Angriff auf humanitäre Organisationen, die in den schlimmsten Situationen agieren, in denen Lebensmittel als Kriegswaffe eingesetzt werden«, sagte Erin Gore, der CEO der Organisation. »Das ist unverzeihlich.« Der TV-Sender Al-Dschasira berichtete am Dienstag, die Fahrzeuge seien mit mehreren hundert Metern Abstand zueinander unterwegs gewesen. Laut WCK besitzen die Opfer die polnische, britische, australische, palästinensische und kanadisch-US-amerikanische Staatsangehörigkeit. »Die israelische Regierung muss dieses wahllose Töten stoppen«, schrieb der Gründer der NGO, der spanisch-US-amerikanische Starkoch José Andrés, am Dienstag morgen auf der Plattform X.

World Central Kitchen betreibt nach eigenen Angaben mehr als 60 Feldküchen im zentralen und südlichen Gazastreifen, in denen täglich Hunderttausende Mahlzeiten an die notleidende Bevölkerung verteilt wurden. Sie wird nun die Arbeit in der unter Dauerangriffen stehenden palästinensischen Enklave bis auf weiteres einstellen. Andere NGOs könnten dem Beispiel folgen. Die israelische Armee dürfte also ihr Ziel, Hunger als Waffe einzusetzen, erneut erreicht haben.

Der australische Premierminister Anthony Albanese bestätigte den Tod einer australischen Mitarbeiterin der Hilfsorganisation. »Dies ist eine Tragödie, die niemals hätte passieren dürfen«, sagte er australischen Medien zufolge. Die Vizevorsitzende der australischen Grünen, Mehreen Faruqi, nannte Albaneses Reaktion »das absolute Minimum«: »Israel begeht am hellichten Tag ein Kriegsverbrechen nach dem anderen und kommt damit durch«, stellte sie am Dienstag fest. Faruqi forderte unter anderem Sanktionen gegen Israel wie beispielsweise die Einstellung aller Waffenlieferungen. »Das sind Dinge, die wir tun, wenn andere Kriegsverbrechen passieren.« Aber nicht in bezug auf Israel.

Während sich die Weltöffentlichkeit entsetzt über die sieben toten humanitären Helfer zeigte, blieben die 71 Palästinenser, die Montag und Dienstag innerhalb von 24 Stunden durch israelische Bomben getötet wurden, nur eine Randnotiz. Es gebe »längst kein Limit der Brutalität mehr«, stellte die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe fest. »Er macht mehr als deutlich, dass er für rationale Argumente und Werte der Menschlichkeit nicht erreichbar ist. Und verhandeln möchte er schon gar nicht.« Allerdings meinte die Grünen-Politikerin nicht den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, sondern Wladimir Putin. Die Regierungspartei arbeitete sich über die Feiertage nämlich mal wieder am Ukraine-Krieg und den Ostermärschen der Friedensbewegung ab. Auf den Angriff auf die NGO in Gaza reagierten weder die Grünen noch das Auswärtige Amt öffentlich bis jW-Redaktionsschluss.

Bei dem Angriff auf World Central Kitchen »könnte es sich natürlich um einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht handeln, nach dem Israel die Pflicht hat, humanitäre Helfer, deren Konvois und Hilfslieferungen nicht gezielt anzugreifen«, stellte der australische Professor für Internationales Recht und UN-Sonderberichterstatter Ben Saul am Dienstag in der Onlineausgabe des TV-Senders Al-Dschasira fest. »Nach dem humanitären Völkerrecht ist es ein Kriegsverbrechen, wenn absichtlich Zivilisten, einschließlich humanitärer Helfer, angegriffen werden.«

Es ist also kein Wunder, wenn Israel die unabhängige Berichterstattung darüber unterdrücken will. Am Montag abend billigte das Parlament das sogenannte Al-Dschasira-Gesetz, unmittelbar im Anschluss kündigte Netanjahu eine rasche Schließung des »Terrorkanals« an. Der Sender habe der Sicherheit Israels geschadet und gegen seine Soldaten gehetzt, behauptete er auf X. Al-Dschasira erklärte, dass »solche verleumderischen Anschuldigungen« die Mitarbeiter nicht davon abhalten werden, die »mutige und professionelle Berichterstattung fortzusetzen«.

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