02.04.2024 / Ansichten / Seite 8

Aluhut des Tages: Der Spiegel

Volker Hermsdorf

Verschwörungsgläubigen ist es schnurz, wenn Wissenschaftler an ihren Phantasien kratzen. Jüngst wieder zu beobachten, als Forscher des US-amerikanischen National Institute of Health im März die Ergebnisse mehrjähriger Untersuchungen von 86 Patienten mit »Havanna-Syndrom« publizierten, an dem angeblich US-Diplomaten in aller Welt und zuerst in der Botschaft in der kubanischen Hauptstadt (Foto) erkrankt waren: Grund für die Beschwerden seien weder russische Schallwellenattacken noch von Putin abgerichtete Kampfgrillen, sondern Vorerkrankungen oder Umweltfaktoren. Auch US-Geheimdienste erwiesen sich als Spielverderber. Nach Überprüfung von 1.500 Fällen kamen sie ebenfalls zu dem Schluss, dass kein ausländischer Gegner hinter den Vorfällen stecke. Es bleibe ein frustrierendes Rätsel, so die Washington Post.

Über Ostern fand der Frust endlich ein Ende. Das Programm »60 Minutes« des US-Senders CBS meldete, dass doch Russland der mögliche Verursacher sei. Wer auch sonst? Nun ist »60 Minutes« laut dem Medienwissenschaftler Richard Campbell zwar »keine objektive Nachrichtensendung«. Trotzdem blieb die auf ein rechtes Publikum ausgerichtete Sendung nicht lange allein. Am Sonntag sekundierte das rechte argentinische Portal Infobae mit einem ähnlichen Bericht.

Beide Medien gelten aufmerksamen Lesern allerdings als suspekt. Rechtzeitig trat deshalb Der Spiegel jedem Zweifel an Putins Urheberschaft entgegen. Unterstützt von dem in Lettland beheimateten Portal The Insider, enthüllte die Onlineausgabe des Magazins am Montag, was sogar der CIA seit Jahren verborgen blieb. Hinter den Attacken steckt danach eine Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes GRU. Sollte sich der Bericht – wie einst die prämierten Artikel des Spiegel-Reporters Claas Relotius – als frei erfunden herausstellen, lässt sich ja immer noch darauf verweisen, dass er am 1. April veröffentlicht wurde.

https://www.jungewelt.de/artikel/472452.aluhut-des-tages-der-spiegel.html