02.04.2024 / Inland / Seite 5

Ökodesaster Offshoreparks

Bundeskabinett beschließt Novelle des »Windenergie-auf-See-Gesetzes«. Verbände beklagen Verzicht auf Umweltstandards und Meeresschutz

Jens Walter

Das Bundeskabinett hatte es eilig. Jedenfalls in seiner 95. Sitzung der Legislaturperiode am 27. März kurz vor Ostern – und beschloss im Schnelldurchgang zahlreiche Vorhaben. Ohne Aussprache, wohlgemerkt. Etwa die Novelle des Gesetzes zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (kurz: Windenergie-auf-See-Gesetz, WindSeeG), mit der die sogenannten Erneuerbare-Energien-Richtlinien der EU in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Mit dem WindSeeG sowie schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren will die Ampel den Ausbau der Nutzung der Offshorewindenergie voranbringen. Sagt sie.

Ökoverbände kritisieren die Novelle des WindSeeG, das seit 2017 den Rechtsrahmen für deutsche Offshorewindparks regelt. Sie sei nicht nur überflüssig, sondern umweltschädlich. Demnach soll bei der Zulassung neuer Offshoreanlagen in sogenannten ausgewiesenen Beschleunigungsgebieten auf wichtige Umweltstandards verzichtet werden, so die Deutsche Umwelthilfe (DUH) am vergangenen Donnerstag in einem Statement. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und eine artenschutzrechtliche Prüfung wären nicht mehr Pflicht.

Ähnlich reagierte der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Dessen Präsident Jörg-Andreas Krüger erklärte, auf Drängen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) sei die Ampelregierung »in einen wahren Beschleunigungsrausch verfallen«. Dabei könne Deutschland mit dem heute bestehenden Planungs- und Genehmigungsrecht seine Klimaziele auf dem Meer erreichen. Das Kabinett wolle offenbar mehr, als die Richtlinien vorsähen, »doch mit dem überzogenen Abbau von Umweltstandards wird sich kein Windrad früher drehen – aber wir verlieren die Meere als wichtige Verbündete in der Klimakrise«. Zudem drohten der Branche Rechts- und Investitionsunsicherheiten.

Wird der Meeresschutz dem Klimaschutz geopfert? Davon will Habeck nichts wissen. »Die 50 Prozent, die haben wir deutlich geknackt«, triumphierte der Minister am vergangenen Mittwoch in einer Videobotschaft. Er meint: 2023 sei mit fast 52 Prozent erstmals mehr als die Hälfte des verbrauchten Stroms durch erneuerbare Energieträger gedeckt worden. Den größten Beitrag (27 Prozent) zur Stromerzeugung leisteten Windkraftanlagen – vor allem an Land. Mit Windenergie wurde erstmals mehr Strom produziert als mit Braun- und Steinkohlekraftwerken zusammen.

Die Offshorewindparks liegen mehrere Kilometer vor der Küste in Gebieten mit bis zu 40 Metern Meerestiefe. Die Konstruktion solcher Anlagen ist technisch und logistisch aufwendig, deutlich aufwendiger als an Land. 2023 sind 27 neue Offshoreanlagen mit einer Leistung von zusammen 0,26 Gigawatt in Betrieb gegangen. Damit stehen zur Zeit 1.564 Windräder vor den Küsten von Nord- und Ostsee. Die installierte Leistung stieg auf knapp 8,5 Gigawatt.

Aktuell im Bau befinden sich vier weitere Windparks mit einer Leistung von 2,54 Gigawatt. Und: Unternehmen erhalten immer mehr Flächen für neue Windräder auf See: »Die erste große Ausschreibungsrunde war ein Erfolg«, heißt es seitens der Bundesregierung. Die Bieter, die einen Zuschlag erhalten haben, investieren mehr als 13 Milliarden Euro für vier Windparks in Nord- und Ostsee mit insgesamt sieben Gigawatt Leistung. Unter dem Strich wäre das mehr Offshoreleistung als bislang installiert.

Nabu-Meeresexperte Kim Detloff beunruhigt dieser Gigantismus: »Die Bundesregierung treibt uns mit ihren überhöhten Ausbauzielen in ein riesiges Experiment.« Denn wichtige Fragen bleiben unbeantwortet: Was machen Zehntausende Windräder auf engem Raum in der Nordsee mit dem Ökosystem? Wie verändern sich das Wind- und Strömungssystem, Nahrungsnetze und Lebensgemeinschaften? Detloff weiter: »Ohne Umweltverträglichkeitsprüfung können wir die Folgen nicht abschätzen. Wir merken so nicht, wann das System kippt.« Das Agieren der Ampelkoalitionäre gleiche einer Geisterfahrt auf der Autobahn. Deshalb der Appell der Ökoverbände, den Kabinettsbeschluss in Bundestag und Bundesrat abzulehnen.

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