30.03.2024 / Inland / Seite 8

»Die Bevölkerung soll weichgeklopft werden«

»Kriegstüchtigkeit« bedeutet auch, dass Militarismus wieder popularisiert wird. Ein Gespräch mit Willi van Ooyen

Kristian Stemmler

Die Ostermärsche finden in diesem Jahr vor dem Hintergrund des andauernden Kriegs in der Ukraine, der Eskalation in Gaza und der Militarisierung hierzulande statt. Ist die Lage ernster als früher?

Das kann man einerseits durchaus so konstatieren. Andererseits ist es auch so, dass wir seit 25 Jahren immer wieder Kriege hatten, die bei den Ostermärschen Thema waren. Im Kosovo zum Beispiel 1999, 2001 in Afghanistan oder der Irak-Krieg 2003. Die Ostermarschbewegung musste immer auch darauf reagieren, was real in der Welt an Kriegen passierte.

2003 zum Beispiel hatte die deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Krieg im Irak abgelehnt.

Ja, das ist heute eine neue Situation. In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich viel geändert. Wir haben früher eine andere Resonanz gehabt. Auch die Position der jetzigen Bundesregierung zu den aktuellen Kriegen ist ja eine andere als die Position der damaligen Regierung zum Krieg gegen den Irak. Dass das Land »kriegstüchtig« werden soll, ist ja nicht nur eine mal zufällig hingesagte Parole, sondern es wird tatsächlich auch alles dafür getan, um die Bevölkerung auf Kriege und weitere Militarisierung einzustimmen. Da ist ein systematisches Vorgehen zu erkennen. Alle politischen Versprechen – Stichwort: mehr Investitionen in Bildung, mehr Geld für Soziales – werden jetzt zur Disposition gestellt. Wir erleben eine sehr grundsätzliche Umorientierung der Bevölkerung auf militaristische Positionen. Es gibt eben eine breite Einheitsfront für Aufrüstung und militärische Optionen, von kriegslüsternen Grünen und SPD-Politikern wie Michael Roth bis zur AfD.

Auch über die Möglichkeit eines Angriffs Russlands auf NATO-Staaten wurde bereits spekuliert. Wie sehen Sie das?

Die Gefahr sehe ich nicht, und die sehen auch rational denkende Militärs nicht. Manchmal bin ich beeindruckt, dass ehemalige oder sogar aktive Militärs das Kriegsgeschehen durchaus realistischer betrachten, sich sogar für Abrüstung und internationale Kooperation einsetzen. Ich glaube, dass mit solchen Spekulationen die Kriegsangst der Bevölkerung geschürt und sie weichgeklopft werden soll, um Aufrüstung und Militarisierung zu akzeptieren.

Wer heute einen Waffenstillstand oder Friedensverhandlungen fordert, wie etwa der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Fall der Ukraine, wird sofort niedergemacht.

Das ist eines der großen Probleme, die wir haben: Jeder, der sich für vernünftige friedenspolitische Positionen einsetzt, bekommt sofort Druck zu spüren. Wer sich für Waffenstillstand und gegen Waffenlieferungen ausspricht, der wird in die Ecke gedrückt.

Hat der neue Krieg in Gaza auch Spaltungen in die Friedensbewegung getragen?

Das glaube ich eher nicht. Ich glaube, dass sich in der Friedensbewegung die Forderung nach einem Waffenstillstand, wie sie jetzt auch von der UNO beschlossen wurde, und das sofortige Verhandeln als Grundposition zu diesem Konflikt gefestigt haben.

Gerät die Friedensbewegung angesichts der medial befeuerten Stimmung im Lande nicht immer mehr in die Defensive?

Selbstverständlich haben wir nicht mehr die Zustimmungswerte zu friedenspolitischen Positionen wie in den 1980er Jahren, als manchmal die Hälfte eines ganzen Jahrgangs den Kriegsdienst verweigert hat. Davon sind wir weit weg und da muss die Friedensbewegung sehr viel daran arbeiten, dass wir wieder diesen gesellschaftlichen Einfluss für vernünftige friedenspolitische Positionen zurückgewinnen.

Es stimmt ja vielleicht ein wenig optimistisch, dass immerhin mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht will, dass Marschflugkörper an die Ukraine geliefert werden.

Ja. Es wird immer augenfälliger und klarer, dass Kriege keine Lösungen bringen werden. Und insofern kommen die Ostermärsche mit ihren mehr als 120 Veranstaltungen zum richtigen Zeitpunkt. Die Quantität ist dabei gar nicht der entscheidende Punkt, sondern dass wir in der Fläche präsent sind und mobilisierungsfähig bleiben. Die Forderung nach Frieden muss wieder einen Platz in der Republik haben. Wir müssen in der Gesellschaft verlorenen Boden zurückerobern.

Willi van Ooyen ist Kosprecher des Kasseler Friedensratschlags

Infos unter: kurzelinks.de/Ostermarsch-2024

https://www.jungewelt.de/artikel/472376.friedensbewegung-die-bevölkerung-soll-weichgeklopft-werden.html