30.03.2024 / Ausland / Seite 2

»1999 war die Zeitenwende und nicht erst jetzt«

Bundesregierung von SPD und Grünen wollte völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien nicht beim Namen nennen. Ein Gespräch mit Żaklin Nastić

Karim Natour

Zum 25. Jahrestag des NATO-Angriffs auf die Bundesrepublik Jugoslawien sind Sie nach Serbien gereist. Was war das Ziel Ihrer Reise?

Ich war bereits letztes Jahr zum Gedenken des Kriegs hier. Es ist wichtig – als deutsche Politikerin – ein Zeichen zu setzen, dass wir diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilen und nicht vergessen. Und dass wir die deutsche Mitschuld anerkennen, auch vor dem Hintergrund der Diskussion über den Krieg in der Ukraine, der völlig zu Recht als völkerrechtswidriger Krieg verurteilt wird. Über Jugoslawien und darüber, welche Verbrechen Deutschland dort begangen hat, wird nicht gesprochen: Das Kosovo, das immer Teil Serbiens war, wurde mit deutscher Hilfe gewaltsam und völkerrechtswidrig abgespalten.

Wie haben Sie die Gedenkveranstaltung erlebt?

Es war sehr eindrücklich. Das Gedenken wurde in Prokuplje abgehalten. Das war der Ort, an dem die ersten Bombardements der NATO stattfanden. Die Menschen haben die Bomben nicht vergessen. Diejenigen, die es überlebt haben, die ihre Familienmitglieder verloren haben, weigern sich, den Krieg zu vergessen und gedenken derjenigen, die für die Freiheit gekämpft haben und gestorben sind. Zehntausende Menschen säumten die Straßen.

Die deutsche Luftwaffe hatte sich damals zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges an einem bewaffneten Einsatz beteiligt. Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf die BRD?

1999 war die Zeitenwende – und nicht erst jetzt, mit Olaf Scholz’ Rede im Februar 2022. Dass man die hiesige Bevölkerung wieder »kriegstüchtig« machen wollte, begann schon damals. Diesen Krieg gegen ein europäisches Land wollte man nicht beim Namen nennen und bezeichnete ihn statt dessen als »humanitäre Intervention«. Immerhin hat Exkanzler Gerhard Schröder später zugegeben, dass gegen das Völkerrecht verstoßen wurde. Diejenigen, die heute noch politisch aktiv sind, tun das nicht. Dass von deutschem Boden wieder ein Angriffskrieg ausging, hat die BRD nachhaltig verändert.

Welche Rolle hat Deutschland 1999 gespielt?

Ich habe damals miterlebt, wie die Propagandamaschinerie anlief. Deutschland hat in bezug auf die politische Legitimierung des Kriegs eine wesentliche Rolle gespielt: Die rot-grüne Regierung, die Propaganda von Joschka Fischer und Rudolf Scharping, die ein »zweites Auschwitz« heraufbeschworen und Lügen über angebliche Konzentrationslager verbreiteten. Serbien wurde einseitig zum Aggressor erklärt. Die Verbrechen der »Befreiungsarmee des Kosovo« UÇK waren nie Thema. Unter Willy Brandt hatte man sich völlig zu Recht »Nie wieder Krieg« auf die Fahnen geschrieben. Um den Angriff auf Jugoslawien zu rechtfertigen, musste man daher zunächst die deutsche Öffentlichkeit hinters Licht führen. Und hinterher wurde nicht über die 3.000 Toten geredet.

Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Debatte dazu in Deutschland?

Bei der aktuellen Debatte zum EU-Beitrittskandidaten Bosnien sieht man klar: Die EU und Deutschland betrachten den Balkan als ihren Hinterhof. Früher wollte man Jugoslawien zerschlagen, heute schaut man kritisch auf Serbien. Serbien passt nicht in den Plan der EU und Deutschlands, weil es politisch »zu nah« an Russland und China ist. Besonders besorgt mich, dass das Kosovo aktuell massiv aufgerüstet wird. Türkische Drohnen wurden bereits geliefert, nun wollen die USA Waffen liefern. Das geschieht, obwohl allen bewusst ist, dass man damit den ultranationalistischen Premierminister Kosovos, Albin Kurti, stärkt. Dieser unterstützt offen großalbanische Allmachtsphantasien, sogar mit Blick auf Mazedonien.

Welche Auswirkungen hat Kurtis Politik im Kosovo?

Seit dem Amtsantritt von Kurti 2021 haben Tausende Serben – im vergangenen Jahr sogar rund 13 Prozent der gesamten serbischen Bevölkerung – aufgrund eskalierender Diskriminierung und Gewalt das Kosovo verlassen. An Weihnachten wurden serbische Kinder angeschossen. Die Täter müssen keine Konsequenzen fürchten. Nicht nur Serben sind vogelfrei, auch andere Minderheiten wie Gorani, Balkantürken und Roma. Diese Situation hat auch die NATO mit ihrer Intervention von 1999 befördert.

Żaklin Nastić ist Bundestagsabgeordnete (Bündnis Sahra Wagenknecht)

https://www.jungewelt.de/artikel/472345.jugoslawienkrieg-1999-war-die-zeitenwende-und-nicht-erst-jetzt.html