28.03.2024 / Feuilleton / Seite 11

Bewusste Ernährung

Eher Strudel als Welle: Jessica Hausners Film »Club Zero« über ein Sozialexperiment unter Internatsschülern

Ronald Kohl

Woher kommt es«, fragte sich die österreichische Regisseurin Jessica Hausner, »dass Menschen wieder vermehrt zu bestimmten ideologischen Gruppen dazugehören wollen?« Einer der Gründe dürfte wohl ökologischer Natur sein, diese Ansicht vermittelt jedenfalls ihr neuer Film »Club Zero«. Wie ernst die Regisseurin diese Bemühungen nimmt, lässt sie absichtlich offen. Worauf es ihr ankommt, sind die Mittel und das politische Ziel: die Welt zu retten, nicht, sie zu erobern.

Anders als in »Die Welle«, egal, ob man nun den Fernsehfilm aus den USA oder die gleichnamige deutsche Kinoversion zum Vergleich heranzieht, anders also als in den massenpsychologisch angehauchten »Vorläufern« formiert sich in »Club Zero« keine Gemeinschaft, die andere ausgrenzen oder gar einschüchtern will. Es entsteht auch eher ein Strudel als eine Welle. Und die gruppendynamischen Prozesse finden eben auch nicht, wie es der Filmtitel bereits erahnen lässt, innerhalb einer über alles hinweg schwappen wollenden Bewegung statt, sondern in einem kleinen, aber feinen Klub.

Drei Schülerinnen und zwei Schüler einer elitären Internatsschule belegen das Seminar der neuen Lehrerin Miss Novak (Mia Wasikowska). »Bewusste Ernährung« nennt sich der Kurs, für den sich die jugendlichen Charaktere aus den unterschiedlichsten Gründen eingeschrieben haben. Helen ist Nachhaltigkeitsfanatikerin. Elsa hingegen ist unsere Erde eher egal. Sie bringt einfach gerne ihr Essen wieder heraus. Eigentlich gibt es nichts, das sie lieber tut – bis auf eines: den erbrochenen Glibber vor den Augen ihrer fürsorglichen Eltern wieder in sich hinein zu löffeln. Diese Show würde Fred vielleicht auch gerne mal abziehen, nur bekommt er dazu keine Gelegenheit; er wurde in dem Internat geparkt, während seine Erzeuger humanitäre Ideen in Afrika verwirklichen. Ragna wiederum lebt in einem relativ intakten Elternhaus. Sie ist bloß ein bisschen zu schwer für das Trampolin. Worauf die Zuschauer von allein nie gekommen wären. Wir wissen es nur, weil ihre Mutter diese Ansicht einmal beim Abendessen vertrat.

Diese vier, die sämtlich sehr wohlhabenden Verhältnissen entstammen, sind also schon leicht Panne, bevor der von Miss Novak geführte Kurs überhaupt beginnt. Ben, der Fünfte im Bunde, dessen alleinerziehende Mutter mit dem Haushaltsgeld knapsen muss, ist anfangs der Außenseiter in der Gruppe. Trotz ihres spärlichen Einkommens kocht Bens Mom gerne für ihren Sohn. Schon deshalb ernährt er sich ungeachtet Miss Novaks Lektionen weiterhin normal. Allerdings ist er scharf auf Elsa. Für sie würde er alles tun, wenn nötig auch ihren Glibber fressen. Und so rührt er Momis Essen schon bald nicht mehr an.

Nach ähnlichem Muster wird in »Club Zero« ein weiterer Konflikt gelöst. Sobald herauskommt, dass Miss Novak ihre Schützlinge dauerhaft auf null Kalorien heruntersetzt, wird sie gefeuert, wenn auch aus einem anderen Grund. Und auch den sehr vielversprechenden Ansatz, wie reiche Eltern auf die entfesselte Verzichtsbereitschaft ihrer Brut reagieren, lässt die Regisseurin schon bald verhungern. Sie interessieren nicht irgendwelche Reibereien. Und auch keine Essstörungen. »Ich glaube nicht, dass der Film davon handelt«, sagte sie in einem Interview mit dem Standard. Ihr ginge es darum, »dass eine Gruppe einer Ideologie folgt und sich durch ihre Nahrungsreligion besser fühlt – und sich dadurch radikalisiert«.

Die Eltern stehen dem ohnmächtig gegenüber. Denn mit dem Rauswurf haben sie die neue Lehrerin nur zur Märtyrerin gemacht und ihren Einfluss unwiderruflich gestärkt. Das große Fasten geht also weiter. Wo führt das letzten Endes hin? – Keine Ahnung.

»Mich interessiert einfach«, sagte Jessica Hausner in der Fernsehsendung »Willkommen Österreich«, »auf welche Art und Weise wir nicht in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren.« Das bedeutet für mich: Wer das Ende des Films nicht verstanden hat, hat es verstanden. Verstehste?

»Club Zero«, Regie: Jessica Hausner, Österreich, UK, BRD u. a. 2023, 110 Min., Kinostart: heute

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