27.03.2024 / Inland / Seite 8

»Alles ist besser, als die Füße stillzuhalten«

Leipzig: Breites Bündnis gegen AfD gegründet. Kritik von links. Ein Gespräch mit Marcus Röder

Gitta Düperthal

In Leipzig hat sich ein neues Demobündnis »Hand in Hand für Demokratie und Menschenrechte« gegründet. Mehr als 100 Organisationen haben sich angeschlossen. Warum erschien diese Neugründung notwendig?

Nach Umfragewerten könnte die AfD mit 35 Prozent bei der Landtagswahl in Sachsen am 1. September stärkste Kraft werden. Mit ihrer Agenda bedroht sie die Grundwerte unserer Demokratie. Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv über geplante Deportationen unterstreichen, wie dringend es notwendig ist, demokratische Prinzipien gegen solch gefährliche Vorhaben zu verteidigen. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass zur Wahl zu gehen und demokratisch zu wählen, eine solche Mehrheit verhindern kann. Uns vom Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« wurde klar, dass wir deshalb vor den Wahlen größere Demonstrationen machen müssen; unser Bündnis aber zu weit links verortet wird, um das auf die Beine zu stellen. Ein breites Netz von der linken Politcommunity bis zum Kleingartenverein, zur Industrie- und Handelskammer und der CDU zu knüpfen, wird uns nicht gelingen. Deshalb haben wir uns für das neue Bündnis entschieden.

Was planen Sie?

Das Bündnis plant für den 8. Juni, dem Tag vor den Kommunal- und Europawahlen in Deutschland eine Großdemonstration. Die Organisation Campact, mit der wir zusammenarbeiten, will zu dem Anlass in acht Städten Demos organisieren. Für den 25. August, vor der Landtagswahl in Sachsen, planen wir drei Demos. Nachdem uns bei der Großdemo am 21. Januar in Leipzig mit 70.000 Menschen positive Resonanz erreicht hatte, aber auch Kritik, wollen wir uns an drei verschiedene Zielgruppen richten: an die progressiven Linken, die bürgerliche Mitte und die Erstwähler. Letztere wollen wir mit einem Technofestival abholen. Um gemeinsam ein starkes Zeichen zu setzen, sollen sich die drei Demos später auf dem Innenstadtring zur Großdemo gegen die extreme Rechte zusammenschließen.

Wie ist Ihr Demobüro finanziert?

Damit tun wir uns noch schwer. Campact hat zugesagt, für den 8. Juni die Kosten zu übernehmen. Wir versuchen von Gewerkschaften, Kirchen, und anderen Geld einzusammeln; bitten Institutionen von der Deutsche-Bahn-Stiftung bis zur Bewegungsstiftung um Unterstützung.

Wo verortet sich das Bündnis politisch, wie sind die Parteien involviert?

Zum Gründungstermin hatten wir die CDU eingeladen. Sie kam, ist aber kein Mitglied des Bündnisses wie SPD, Grüne und Linke. Bei der FDP geht es nur noch um eine Formalie, dann will sie beitreten. Freilich ernten wir Kritik, dass diese Parteien Beschlüsse fassen, die wir im Fall der AfD monieren; selber in Populismus verfallen. Sie sind unterstützend dabei, aber nicht maßgeblich.

Haben diese Parteien nicht den Rechtsruck mitzuverantworten? Wäre es nicht besser, sie würden sich darauf konzentrieren, sozial gerechtere Politik zu machen, anstatt absurderweise auch gegen die eigene Politik auf die Straße zu gehen?

Ich sehe den Widerspruch. Natürlich sollten sie solidarische Politik machen, Angebote für die Menschen schaffen, die sie wählen sollen. Darauf können wir nur eingeschränkt mit unserer Bewegung Einfluss nehmen. Wir wollen die Demo nutzen, um Politikern genau das ins Gesicht zu sagen.

Wie werten Sie es, wenn Kritiker spotten: Das gut verdienende Kleinbürgertum will auch mal ein Bündnis gegen rechts gründen. Mit Ausbeutung und Niedriglöhnen hat es zum gesellschaftlichen Klima beigetragen, das die AfD erst groß gemacht hat.

Diese Kritik an der »bürgerlichen Mitte«, dass sie all das mitzuverantworten hat, gibt es auch in unserem Bündnis. Das kam auf der Großdemo im Januar mit den 70.000 Menschen zur Sprache. Es gab Kapitalismuskritik und Kritik an den Parteien. Klar können wir nicht nur Wohlfühlatmosphäre verbreiten, müssen bei den Demos auf die Ursache schauen. Aber derzeit wird eine Lehrkraft, die sich an der Schule für das Grundgesetz einsetzt, bereits als links eingestuft. Alles ist besser, als in dieser Lage die Füße stillzuhalten, und nicht am Bündnis teilzuhaben.

Marcus Röder ist Politikwissenschaftler und organisiert das Demobüro des Bündnisses »Hand in Hand für Demokratie und Menschenrechte« in Leipzig

https://www.jungewelt.de/artikel/472236.gegen-rechts-alles-ist-besser-als-die-füße-stillzuhalten.html